Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl im Landkreis München:Greta statt Kreta

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Weil ihm die Klimapolitik am Herzen liegt, wirft sich Christoph Nadler mit 64 Jahren noch einmal in den Wahlkampf. Der Landratskandidat der Grünen verzichtet dafür längere Zeit auf seine Sehnsuchtsinsel. Sein Ziel ist zumindest die Stichwahl.

Von Iris Hilberth

Ein Blick auf die große Schrankwand im Reihenhaus der Nadlers in Taufkirchen genügt, um bestätigt zu bekommen, wo die Sehnsuchtsorte des Kreispolitikers der Grünen jenseits von Sitzungssälen, Landratsamt, Parteiveranstaltungen und Fridays-for-Future-Demos liegen: Ein ganzes Fach ist allein der Reiseliteratur über Kreta vorbehalten, an manchen Führern, sagt Christoph Nadler, habe er sogar mitgeschrieben. Parteifreunde kennen seine Beiträge auf Facebook mit Bildern von der griechischen Insel, meist sind sie aber allein dem Wunsch geschuldet, mal wieder dort zu sein. In der Sonne zu liegen und mit seinen griechischen Freunden über Politik zu diskutieren. Oder spontan bei den Grünen in Chania zu klingeln, die sich auf Kreta für den Schutz der vom Aussterben bedrohten Caretta-Schildkröten einsetzen. Doch derzeit hat sich Nadler eine achtmonatige Urlaubssperre auferlegt. Nadler will Landrat werden. Mal wieder.

Die Kommunalpolitik hat wie so oft in seinem Leben Priorität. Es ist schließlich Wahlkampf, für Nadler ein ganz besonderer. Nicht, weil er sich wirklich ausrechnet, im zweiten Anlauf tatsächlich Landrat zu werden, "so realistisch bin ich schon", sagt er. Aber es sind einfach nicht die Zeiten, in denen man sich selbst mit 64 Jahren auf eine Insel zurückzieht statt die grünen Inhalte voranzubringen und möglichst viele Stimmen für seine Partei und seine Kreistagsfraktion zu generieren. Den Zuspruch zu nutzen, den die Partei derzeit erfährt. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wer mit Nadler über die Grünen, über den Klimaschutz, den Erhalt der Frischluftschneise im Hachinger Tal, die Verkehrswende, über Photovoltaik und Windenergie spricht, merkt sofort, wie der Mann für diese Zukunftsthemen brennt, und vor allem, wie es ihn begeistert, dass jahrzehntelanges Bemühen mehr und mehr zum Erfolg führt. Obwohl der Betriebswirtschaftler Nadler keiner ist, der nach außen hin euphorisch wirkt oder zu Gefühlsausbrüchen neigt; sondern einer, der gerne mal ein bisschen stichelt und sich spitzbübisch über jede neue Umfrage freut, die den Grünen attestiert, dass sie sich nach wie vor auf einem vor ein paar Jahren noch unvorstellbaren Höhenflug befinden. Er sagt: "Es freut mich zu sehen, dass grüne Themen, früher als exotische Fantasien grüner Spinner angesehen, heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind." Er hängt sich also noch mal voll rein. Abendtermine zur Klimapolitik in Unterschleißheim und Unterhaching statt Sonnenuntergang in Paleochora. Greta statt Kreta.

"Die Kreispolitik ist meine Spielwiese."

Nadler ist schon seit ewigen Zeiten bei den Grünen, mehr als 30 Jahre sind es jetzt. Damals war er gerade mit seiner Frau und den beiden Söhnen aus München raus nach Taufkirchen gezogen, als eine Unterschriftenaktion gegen eine Bebauung von Feuchtwiesen ihn motivierte, sich politische zu engagieren. 1987 war das, von 1992 bis 2008 saß er dann für die Grünen im Gemeinderat, seit 1996 ist er Kreisrat und dort seit langem auch Sprecher der Fraktion. Er hat sich vor mehr als zehn Jahren ausschließlich für die Kreispolitik entschieden, "das ist meine Spielwiese", sagt er und lobt das Niveau dort, vor allem seine Fraktion "mit fachlich guten Leuten", denen er bereits jetzt ein gewisses Gewicht im Kreis zuschreibt. Er habe großen Wert darauf gelegt, "dass wir immer gut vorbereitet sind", so Nadler.

Er gibt aber auch zu, dass er eine Weile gebraucht hat, um zu verstehen, dass wirklich wichtige Entscheidungen nicht in den Gremien fallen. Er habe gelernt, dass man in bestimmte Kreise rein müsse, um mitreden zu können, und dass es CSUler gebe, die zwar aus einem anderen Lebensumfeld kämen, "mit denen man aber trotzdem vernünftig reden kann". Stefan Schelle, den Bürgermeister aus der Nachbargemeinde Oberhaching zählt er dazu, auch den amtierenden Landrat Christoph Göbel und Anton Schonlau, mit dem er lange im Gemeinderat saß und heute noch zusammen zum Fitnesstraining geht. "Ich bin pragmatisch", sagt Nadler, "ich möchte etwas durchsetzen. Und solange wir nicht die absolute Mehrheit haben, muss ich mir Mehrheiten suchen, Kompromisse machen, um möglichst viel von meinen Ideen umzusetzen." Eine Parteifreundin hat ihn deshalb mal als "Mauschler im Nadelstreifen" bezeichnet, aber Nadler findet, es gehört dazu. "Ich verhandle gerne mit anderen Leuten, um unsere Ziele oder möglichst viel davon zu erreichen."

Erstmals hat er sich coachen lassen

Dabei bezeichnet er sich selbst gar nicht als großen Redner. Diese Selbsteinschätzung mag bei einem Politiker und noch dazu einem Fraktionssprecher überraschen. Doch Nadler meint, dieser kritische Blick auf sich selbst sei wohl seinen hohen Ansprüchen, seinem Ehrgeiz geschuldet. Für diesen Wahlkampf hat er sich daher erstmals sogar coachen lassen und mit seinen Mitstreitern an einem Seminar für Haustürwahlkampf teilgenommen. Für ihn auch ein Zeichen dafür, dass die Grünen professioneller geworden sind, viel strategischer am Wahlerfolg arbeiten als noch vor sechs Jahren. "Ich bin kein Einzelkämpfer", sagt Nadler und verweist auf sein siebenköpfiges Wahlkampfteam. Als Ziel haben sie die Stichwahl ausgegeben und 16 bis 18 Sitze im Kreistag statt wie bisher elf.

Die Bevölkerung habe hohe Erwartungen an die Grünen, findet Nadler. Für den Landkreis heißt das für ihn: "Wir müssen die Schwerpunkte anders setzen." Wenn die Leute gegen ein einziges Windkraftrad demonstrierten wie in Brunnthal, sei das mehr als peinlich. "Wir müssen die Menschen besser einbinden." Auch mit der Photovoltaik gehe es noch nicht so voran, wie es möglich wäre. Die Bürgerenergie Unterhaching etwa suche dringend nach Grundstücken für Freiflächenanlagen. "Der Landkreis muss zeigen, dass er das will", so Nadler. Beim Thema Radschnellwege sieht er das ähnlich. "Ein CSU-Landrat muss sich mit einem CSU-Minister an einen Tisch setzen und sagen: Wir brauchen das." Derzeit werde hier mit netten Fotos nur Schaufensterpolitik betrieben. "Das Klimapaketchen der Bundesregierung ist zu wenig. Wir müssen mutiger sein, groß einsteigen und nicht nur Pillepalle machen."

Christoph Nadler wird nach den vielen Jahrzehnten in Taufkirchen auch als einer von dort wahrgenommen. Hier kennt man ihn, hier spricht man ihn auf der Straße oder im Bus an, hier hat er so manchen politischen Strauß ausgefochten und mischt nicht nur im Hintergrund mit, sondern ist offiziell Ortsverbandsvorsitzender der Grünen. In seinem Herzen ist er aber immer noch ein bisschen Giesinger geblieben. Aufgewachsen in Sichtweite der Grünwalder Stadions ist - Kreta hin oder her - der TSV 1860 seine große Leidenschaft.

Beim Fußball, sagt er, könne er seine Emotionen rauslassen, und selbstverständlich habe er seit Jahrzehnten eine Dauerkarte für seinen Lieblingsverein. Als Schüler hat er sogar kurzzeitig mal auf eigene Faust versucht, eine Fußballerkarriere bei den Sechzgern zu starten und nahm ohne das Wissen seiner Eltern heimlich am Jugendtraining teil. Irgendwann kam das aber raus und die Eltern meldeten ihn mit der Begründung wieder ab: "Der Bub soll Abitur machen."

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SZ vom 23.01.2020
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