Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Oberschleißheim:Vereint im Groll

Lesezeit: 3 min

Seit der Wahl 2014 attackieren SPD, CSU, Grüne und FDP Bürgermeister Christian Kuchlbauer von den Freien Wählern. Dennoch dauerte es, bis sich überhaupt jemand traute, den Amtsinhaber herauszufordern. Jetzt stehen in Oberschleißheim gleich vier Gegenkandidaten zur Wahl

Von Klaus Bachhuber

Der Wahlkampf in Oberschleißheim hat am 2. Mai 2014 begonnen - zumindest in der Wahrnehmung von Bürgermeister Christian Kuchlbauer von den Freien Wählern (FW). Seit der Politneuling vor sechs Jahren sein Amt angetreten hat, tut er jede parteipolitische Äußerung von der sachlichsten Kritik bis zur persönlichsten Attacke als "Wahlkampfgetöse" ab; Wort- und Textbeiträge seiner FW und ihrer Hintersassen in den digitalen Netzwerken strikt ausgenommen. Und Kritik am Bürgermeister haben SPD, CSU, Grüne und FDP reichlich vorgebracht. In den ersten Monaten galt das Bonmot, dass es Kuchlbauer geschafft habe, den traditionell zerklüfteten Oberschleißheimer Gemeinderat zu befrieden - weil jetzt die einst zerstrittenen Parteien alle geschlossen gegen ihn seien. Ein etwas irrlichterndes Verhalten des Bürgermeisters befeuerte diesen Spott. Ab und an stimmte der Bürgermeister gegen den geschlossenen Gemeinderat inklusive seiner eigenen Fraktion und gelegentlich auch mal gegen die eigene Beschlussvorlage.

Angesichts der umfassenden Unzufriedenheit mit Kuchlbauer geriet die Herausforderung des ungeliebten Bürgermeisters dann etwas pikant. Es dauerte, bis sich überhaupt Kandidaten fanden. Ingrid Lindbüchl (Grüne) ist die einzige, die es sich aus dem aktuellen Gemeinderat zutraut, auf den Bürgermeisterstuhl zu wechseln. Die SPD fand mit ihrem Kandidaten Harald Müller, in Oberschleißheim wohnhaft erst seit fünf Jahren, einen Quereinsteiger light.

Und die CSU belastete ihren Kandidaten Markus Böck mit einer geradezu grotesken Hypothek. Die Partei nominierte zunächst ihre Kandidatenliste für den Gemeinderat und erklärte öffentlich, keinen Bürgermeisterbewerber zu stellen. Erst auf wohl brachiale Intervention aus dem Kreisvorstand schob der Ortsverband eine zweite Nominierung nach und schickt nun Böck aus dem Nachbarort Hackermoos ins Rennen; mit dem Unterschleißheimer Bürgermeister Christoph Böck übrigens nicht verwandt. Man tritt der FDP wohl nicht zu nahe, wenn man in der Nominierung von Casimir Katz als Bürgermeisterkandidat zum zweiten Mal nach 1996 weniger den drängenden Wunsch des 66-Jährigen sieht, das Rathaus zu führen; vielmehr soll die Nominierung eher verhindern, dass die Liberalen in der öffentlichen Wahrnehmung des Wahlkampfs untergehen.

Christian Kuchlbauer, Freie Wähler: Alter: 59 Jahre, wohnt seit Geburt am Ort Familienstand: verheiratet, zwei Kinder Beruf: Erster Bürgermeister, Versicherungskaufmann Hobbys: Skifahren, Tischtennis

Harald Müller, SPD: Alter: 60 Jahre, wohnt seit 2015 im Ort Familienstand: zwei Söhne Beruf: Volljurist Hobbys: Sport, Lesen, Kino

Ingrid Lindbüchl, Grüne: Alter: 53, seit 42 Jahren im Ort Familienstand: verheiratet, zwei Kinder Beruf: Erzieherin Hobbys: Schach, Schafkopfen, Basketball, Kunst, Klassik, Rudern, Skitouren gehen

Markus Böck, CSU: Alter: 43 Jahre, wohnt in Hackermoos Familienstand: geschieden Beruf: Polizeibeamter Hobbys: Fußball, Feuerwehr, Joggen, Darts

Casimir Katz, FDP: Alter: 65, am Ort seit 1988 Familienstand: verheiratet, zwei Kinder Beruf: Bauingenieur Hobbys: Musik, Geschichte und Politik

Die Wahl zum Gemeinderat schließlich bringt die wohl einmalige Konstellation, dass 22 der 24 amtierenden Gemeinderäte zur Wiederwahl antreten, bis zum 82-jährigen Peter Benthues (CSU) und Hans Negele (FW), der ursprünglich schon 2002 während der Wahlperiode seinen Rücktritt beantragt hatte und jetzt erneut zur Wiederwahl antritt. Beide sind jeweils 30 Jahre lang im Gemeinderat aktiv.

Die Wähler in Oberschleißheim bewegt nichts anderes als im restlichen Landkreis München: Dass die Mieten unerschwinglich sind und Wohneigentum nicht finanzierbar, dass der Straßenverkehr kollabiert und die S-Bahn jeder Beschreibung spottet. Eine Umgehungsstraße ist auf den Weg gebracht, Neubaugebiete stehen vor der Genehmigung, da ist wenig Entscheidung möglich bei der Wahl.

Ihren großen Coup haben Kuchlbauer und die FW schon im Vorfeld gelandet. In einem Bürgerentscheid 2019 haben sich die Oberschleißheimer entschieden, zur Entzerrung des Bahnübergangs in der Dachauer Straße nicht mehr eine Tieferlegung der Bahn zu fordern, sondern eine Tieferlegung der Straße, hinter der alleine die Freien Wähler standen. Damit ist überhaupt nichts geschehen, aber die FW verkaufen dies als Lösung aller Verkehrsprobleme - zu buchen auf ihr Konto.

SPD, CSU, Grünen und FDP ist es hingegen noch nicht recht gelungen, griffige Themen zu setzen oder den Bürgermeister zu greifen. Mit "Gemeindefinanzen im Chaos" betitelte die SPD jüngst eine Veranstaltung, bei der Kuchlbauer schier unfassbare Wurstigkeit bei der Aufstellung der Gemeindefinanzen vorgerechnet wurde. Aber ob das die Wähler interessiert?

Kuchlbauer selbst verkauft sich als Macher. Die Kindertagesstätten hat er neu geordnet und über sechs Jahre bedarfsgerecht gehalten, die Schule modernisiert, einen Sanierungsstau an öffentlichen Gebäuden angepackt, der Volkshochschule erstmals in ihrer Geschichte eigene Räume verschafft. Für die Zukunftsaufgabe des Tourismus hat er die isolierten Einrichtungen am Ort an einem regelmäßigen Runden Tisch versammelt, den Bürgerplatz bespielt er mit Festen und seine Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender der Remonte-Brauereigenossenschaft, die ein Schleißheimer Bier kreiert hat, lebt er mit Inbrunst.

"Eine Aufbruchstimmung am Ort" und "neuen Zusammenhalt" in Oberschleißheim sieht er als Folge der Impulse seiner Amtszeit. Wie lässt sich dagegen Wahlkampf führen? Dass er schon mal einen falschen Bauplan als genehmigt unterschreibt und die mittelfristige Finanzplanung nicht aufgeht? Dass Oberschleißheim krachend durchfällt bei der Zertifizierung als "fahrradfreundliche Kommune", weil Kuchlbauers Rathaus vier Jahre lang nicht ansatzweise genug getan habe? Damit sicher nicht, denn das kommentiert der Bürgermeister als "Erfolg", weil man jetzt wisse, was man besser machen müsse.

Die stärkste Kraft im Oberschleißheimer Gemeinderat ist trotz des Verlusts des Bürgermeisteramts 2014 die SPD mit sieben Sitzen vor CSU und FW mit jeweils sechs geblieben. Im März nun wollen die Freien Wähler stärkste Kraft werden, wie sie angekündigt haben. Die Grünen mit derzeit vier Mandaten setzen auf den bundesweiten Rückenwind ihrer Partei und ihrer Themen.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2020
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