Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Haar:Duell mit starken Nebendarstellern

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Die Podiumsdiskussion von SZ und VHS mit den Bürgermeisterkandidaten offenbart, dass es zwar vier Bewerber gibt, der Kampf um das Rathaus aber vor allem zwischen SPD-Amtsinhaberin Gabriele Müller und CSU-Herausforderer Andreas Bukowski ausgetragen wird.

Von Lars Brunckhorst, Haar

Die Diskussion läuft seit einer knappen halben Stunde, als es das erste Mal knallt im vollen Saal. "Das ist eine Lüge!", schleudert Gabriele Müller dem CSU-Kandidaten entgegen.

Zum Streit um das Kieswerk in Salmdorf hat Andreas Bukowski behauptet, den Anwohnern sei von der Gemeinde eine Einstellung des Betriebs versprochen worden, diese sei dann aber nicht erfolgt. "Aus dem Rathaus hat bestimmt niemand versprochen, dass der Betrieb wegzieht", widerspricht die SPD-Bürgermeisterin ihrem Kontrahenten.

Kaum eine Viertelstunde später kommt es zum zweiten Disput auf offener Bühne zwischen Amtsinhaberin und Herausforderer, als Bukowski die politische Kultur im Gemeinderat beklagt und der Bürgermeisterin die Schuld an den "tiefen Gräben" zwischen den Fraktionen gibt. Als Bürgermeister, so Bukowski, dürfe man nicht parteiisch sein und müsse vielmehr dafür sorgen, dass Diskussionen und Beschlüsse "nicht Parteiinteressen oder Eigeninteressen genügen". Da hält es Müller endgültig nicht mehr. "Unterstellen Sie mir, ich hätte Eigeninteressen verfolgt?" Zweimal hakt Müller nach, ehe Bukowski einschwenkt und sagt: "Gut, dann nehmen wir die Eigeninteressen wieder weg."

Frenetischer Applaus und Zwischenrufe

Spätestens da steht fest, dass der Vierkampf ums Haarer Rathaus in Wirklichkeit ein Zweikampf ist. Zwar setzen auch Ulrich Leiner von den Grünen und Peter Siemsen von der FDP bei der Podiumsdiskussion von SZ und VHS mit den Haarer Bürgermeisterkandidaten Akzente; im mit annähernd 500 Besuchern vollbesetzten Bürgersaal sind es am Mittwochabend aber Müller und Bukowski, die ein ums andere Mal hart aufeinandertreffen - und die von ihren Anhängern mit frenetischem Applaus unterstützt werden. Beziehungsweise denen von der Gegenseite Zwischenrufe und Gelächter entgegenschlagen.

Nach gut zwei Stunden liegen die Unterschiede zwischen den vier Kandidaten jedenfalls offen zutage, die SZ-Redakteur Bernhard Lohr als Moderator anhand von Fragen zu vier Themenblöcken herausarbeiten wollte. So etwa zum laut Lohr "heißen Thema": Wie mit dem Wachstumsdruck umgehen? Während Müller und Leiner - und mit Einschränkung auch Siemsen - eine bauliche Verdichtung innerorts wegen kurzer Wege auch mit neuen Hochhäusern befürworten, will Bukowski die immer knapperen innerörtlichen Grünflächen bewahren. Statt sämtliche Baulücken zu schließen, sei die CSU für eine "doppelte Innenentwicklung" mit gezielter Überplanung von Grünflächen.

Im Gegensatz zu Müller und Leiner, die im Bau bezahlbarer Wohnungen über die örtliche Baugesellschaft, Genossenschaften oder städtebauliche Verträge mit Investoren eine große Zukunftsaufgabe sehen, lehnt Bukowski auch eine sozialgerechte Bodennutzung ab. Diese sei ein "Brandbeschleuniger", weil die vergünstigten Wohnungen nach 25 Jahren aus der Sozialbindung herausfielen. Auch beim Verkehr steht der CSU-Mann gegen eine rot-grün-gelbe Koalition: Zwar kann er sich eine eigene Haarer Mini-Bus-Linie vorstellen, eine Verkehrsberuhigung der Leibstraße mit "massiven baulichen Eingriffen" und weniger Parkplätzen lehnt Bukowski aber kategorisch ab.

U-Bahn und Straßenbahn

Leiner dagegen, der Haars erster grüner Bürgermeister werden möchte, will in Haars Einkaufsmeile am liebsten Fußgänger, Radler und Autofahrer gleichberechtigt zusammenbringen und den Kraftfahrzeugverkehr mit autofreien Wohnquartieren, Radschnellwegen, einer U-Bahn-Verlängerung bis Vaterstetten und einer Straßenbahn auf der B 304 als "zweiter Hauptachse" nach München zurückdrängen. Ähnlich Siemsen, der - wiewohl bei einem Automobilbauer tätig - nicht nur einer "intelligenten Verkehrssteuerung durch Digitalisierung" das Wort redet, sondern einem S-Bahn-Ring, um Umlandgemeinden ohne Umwege durch die Stadt zu verbinden. Auch Müller ist für einen Umbau der Leibstraße: "Dort gibt es im Moment nur einen Gewinner: das Auto." Und sie kann sich einen großen Knotenpunkt für den öffentlichen Nahverkehr am Bahnhof vorstellen.

In punkto Klimaschutz sieht Müller die Gemeinde bereits auf einem guten Weg. Dank Blockheizkraftwerken, Anteilen der Gemeindewerke an einem Windpark und Photovoltaik-Anlagen habe man das Pro-Kopf-Ziel von sechs Tonnen CO₂ bereits jetzt unterschritten. Der Grüne Leiner will mit weiteren Maßnahmen wie Agro-Photovoltaik-Anlagen Haar schon bis 2030 klimaneutral machen, FDP-Mann Siemsen setzt zu diesem Zweck vor allem auf einen Ausbau der E-Lade-Infrastruktur. Ladesäulen müssten bei allen Neubauvorhaben vorgeschrieben werden.

Die Wirtschafts- und Gewerbepolitik offenbart Gemeinsamkeiten - und die letzte Kontroverse zwischen Müller und Bukowski an diesem Abend. So sprechen sich alle Kandidaten für die Ansiedlung weiterer moderner Unternehmen wie der Hochtechnologiefirma Attocube aus. Leiner und Siemsen werben zu diesem Zweck für entsprechende Standortfaktoren. "Für Zukunftsfirmen ist eine hippe, moderne Infrastruktur wichtig", so Siemsen.

Bukowskis Forderung nach einem Wirtschaftsförderer will indes niemand unterstützen, insbesondere Müller nicht, die mehrmals nachfragt, was sich der CSU-Kandidat davon "konkret" erwarte. Die Antwort bleibt er schuldig. Dennoch steht es beim Schlussapplaus unentschieden: 27 Sekunden für Bukowski, 25 Sekunden für Müller. Am 15. März oder spätestens zwei Wochen danach bei einer Stichwahl wird das Duell nicht mit einem Unentschieden enden.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2020
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