Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge damals und heute:Leid sollte verbinden

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Die Vertriebenenverbände sollten ihre Stimme für die Flüchtlinge von heute erheben.

Von Sabine Wejsada

Lässt sich Leid vergleichen? Teilen Flüchtlinge von vor 70 Jahren und Schutzsuchende von heute ein gemeinsames Schicksal? Diese Fragen lassen sich nur mit einem klaren Ja beantworten. Damals wie heute fliehen Menschen aus ihrer Heimat, haben Angst vor der Zukunft, vor Zerstörung und Brutalität, vor der Ungewissheit, ob sie am nächsten Tag noch leben werden. Und ja, sie alle waren und sind Flüchtlinge, die in der Fremde ein neues Leben beginnen müssen, weil sie zu Hause nur die Wahl hatten zwischen Unterwerfung und Tod.

Der Schrecken der eigenen Vergangenheit müsste gerade all jene, die als Kinder die lebensgefährliche Flucht erlebt haben, in deren Familien Geschichten vom Weggehen von daheim und vom schwierigen Ankommen in einem anderen Land von Generation zu Generation weitergegeben werden, empfindsam machen für die aktuellen Ereignisse. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst fragwürdig, wenn sich Menschen, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland erreichten, heute sagen, sie seien ganz andere Flüchtlinge gewesen, wie man es dieser Tage immer wieder hört: vom selben Stamm und demselben Gott ergeben, fleißig und arbeitswillig. Auch sie wurden damals vielerorts von der einheimischen Bevölkerung gemieden und beschimpft, diskriminiert und ausgebeutet. Ja, das ist lange her, selten vergessen und im besten Fall vergeben.

Dennoch muss vor allem von den früheren Flüchtlingen, den Vertriebenen und ihren Verbänden, ein wichtiges Signal ausgehen: Es ist schon einmal gelungen, dass Menschen zusammenwachsen, dass sich Gemeinschaften öffnen und gemeinsam einen Weg finden, an dessen Ende alle voneinander profitieren können. Und sie alle müssen endlich ihre Stimme erheben gegen jene, die ohne Scham und Verstand Flüchtlinge bedrohen und hetzen, ehrenamtliche Helfer verunglimpfen, die sich um die Ankommenden kümmern. Leid sollte verbinden, egal, ob es 70 Jahre zurückliegt oder gerade eben erst passiert ist. Und es kann sich zum Guten wenden.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2015
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