Süddeutsche Zeitung

Klassikkonzert in Grünwald:Weltstars mit Wehmut

Lesezeit: 3 min

Stargeigerin Julia Fischer und die Pianistin Yulianna Avdeeva begeistern an einem besonderen Abend in Grünwald mit Brahms, Ravel und Enescu. Es könnte das letzte Konzert für länger gewesen sein

Von Udo Watter, Grünwald

Ein Lächeln umspielt die Lippen der beiden, ihre Augen treffen sich kurz: die zweisekündige Freude zweier Profis über einen berührenden ersten Satz von Brahms erster Violinsonate, der ihnen da gerade gelungen war. Julia Fischer, die begnadete Violinistin, die ein Timbre entfaltete, das weich und schlank zugleich in den Raum floss, eine berückend zarte Melancholie schweben und die reizvollen Themen blühen ließ. Inning, aber ohne jeden Schmalzverdacht. Und Yulianna Avdeeva, die den pianistischen Part mit feiner Zurückhaltung wahrnahm, federnd und mit warmen Klangfarben aufwartend.

Der 36-Jährige Russin obliegt es danach, im Grünwalder August-Everding-Saal den zweiten Satz des Werkes mit langsamen Akkorden allein einzuleiten. In diesem berührendem Adagio hat Brahms seiner Trauer über die Krankheit seines Patensohnes Felix Schumann Ausdruck verliehen: Den an Tuberkulose erkrankten Sohn von Clara und Robert Schumann hatte er kurz vorher auf seiner ersten Italienreise (1878) besucht, dessen Zustand war hoffnungslos, er sollte bald sterben.

Diese Musik gemahne an die "Hinfälligkeit allen Seins" hat ein Kritiker geschrieben, und Julia Fischer lässt den Blick vor ihrem virtuosen Einstieg in das Adagio kurz nach oben zur Saaldecke schweifen. Innehalten. Konzentrieren. In ihren schönsten Momenten öffnet die Musik ja auch die Pforten zur Transzendenz, bringt ein "Memento mori" zum Klingen, fasst einen an jenseits banaler Schein-Wichtigkeiten.

Brahms Sonate für Violine und Klavier in G-Dur ist ein wunderbares Werk dafür: ein Werk tiefer Innerlichkeit, eigenwillig schwebend, sie gilt als autobiografisches Bekenntnis und manchen sogar als zu intim für eine größere Öffentlichkeit. Im August-Everding-Saal, obgleich er ausverkauft war, ist diese Intimität aber gegeben. In manchen besonders berührenden expressiven Momenten schien sich bei den Zuhörern keine einzige FFP2-Maske auf den Nasenflügeln zu bewegen, so atemlos lauschte man den Musikerinnen.

Dieser Auftritt von Julia Fischer und Yulianna Avdeeva in der Reihe Grünwalder Konzerte war natürlich auch aufgrund der Umstände ein besonderer. Die Kultur steht wieder vor einem De-facto-Lockdown angesichts der 2-G-plus-Regeln, einer Einschränkung auf 25-prozentiger Auslastung und dem, was da in nächsten Wochen ohnehin noch kommen mag. So durchwehte diesen Abend mal wieder ein wehmutvoller Odem von Abschied, Julia Fischer kündigte die Zugabe mit folgendem Worten an: "Bevor wir uns alle in den Lockdown verabschieden, hier noch eine Scherzo von Brahms mit dem vielleicht passenden Motto: Frei, aber einsam."

Allzu schwermütig oder gar trübsinnig war die Atmosphäre generell dennoch nicht. Vielmehr zeigte der Abend noch mal, welch mitreißende Wirkung ein Live-Konzert zu zeitigen vermag, vor allem wenn zwei großartige Künstlerinnen wie Fischer, die sich schon lange vom Wunderkind zum Weltstar entwickelt hat, und Avdeeva, die unter anderem 2012 den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen hat, die Protagonistinnen sind.

Ein Bravourstück der besonderen Art war dabei Maurice Ravels "Tzigane", das zu den technisch anspruchsvollsten der Geigenliteratur gehört. Fischer, die ja alles andere als eine auf den Effekt zielende Bogenlöwin ist, agiert hier so zupackend wie suggestiv. Das Stück, dass der französische Komponist für die ungarischen Geigerin Jelly d'Arányi schrieb und in dem er mehr oder weniger authentische "Zigeunerweisen und -themen" verarbeitete, ist in der ersten Hälfte für Geige solo geschrieben. Aber auch in der zweiten Hälfte erfordert es den geradezu sportiven Einsatz der Musikerinnen: Rhythmisch vertrackte Passagen, Pizzicato-Elemente und komische Intermezzi wechseln sich ab, das Tempo wird zum Schluss hin furios und mündet in ein Finale, das - natürlich auch in Grünwald - diverse Bravo-Rufe geradezu zwangsläufig nach sich zieht.

Im ersten Teil des Abends standen Mozarts Sonate für Violine und Klavier in Es-Dur auf dem Programm sowie die Violinsonate Nr. 2 in f-Moll des rumänischen Komponisten George Enescu. Erstgenanntes Werk trug Fischer mit zupackender Phrasierungsintelligenz vor, fast ein bisschen spröde, sodass die Gefahr, die manchen von Mozarts kammermusikalischen Werken innewohnt - hübsch verspielt, aber wenig aufregend zu sein - gebannt war. Allerdings war das Klavierspiel Avdeevas hier etwas laut, da passte die klangliche Balance zwischen den beiden Instrumenten nicht immer. Ohne Einschränkung großartig dafür der Vortrag von Enescus Komposition. Da erklang ein Werk mit vielen Stimmungen, üppiger Dramatik, spätromantischen Anwandlungen, suggestiv, schräg, im positiven Sinne effektvoll, fröhlich galoppierend, aber auch von leise und magisch abtauchenden Klangwelten geprägt. Auch hier Bravo-Rufe.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2021
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