Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Ein Computer für neun Schüler

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Für die Schützlinge des Feldkirchner Kinderheims war die Umstellung auf digitales Lernen besonders hart. Mithilfe von Spenden sollen nun zusätzliche Laptops und Tablets gekauft werden, um für den Fall einer zweiten Corona-Welle gerüstet zu sein.

Von Anna-Maria Salmen, Feldkirchen

Während der Sommerferien werden viele Schüler mit Unsicherheit in die Zukunft blicken. Werden die Schulen im Herbst wieder zum Normalbetrieb übergehen können oder wird eine zweite Corona-Welle erneut Schließungen nötig machen? Der Lockdown Mitte März bedeutete eine enorme Umstellung - von heute auf morgen musste der Unterricht digital funktionieren. Viele Kinder und Eltern überforderte der Übergang zum sogenannten Home-Schooling, auch dann, wenn in der Familie Computer und Internetzugang vorhanden waren. Schüler mit unzureichender technischer Ausstattung konnten beim digitalen Lernen noch schwerer mithalten - das hat das Team der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe in Feldkirchen in den vergangenen Monaten miterlebt.

Lediglich einen stationären Computer hatte jede Wohngruppe des Kinderheims ursprünglich zur Verfügung. Dieses Gerät mussten sich die jeweils neun Bewohner teilen. "Nach den Schulschließungen stießen die Lehrer und Schüler auf Neuland. Jeder versuchte, eine tragfähige Lösung zu finden", sagt Reimer Grundmann. Der ehemalige Gymnasiallehrer unterstützt die Kinder des Heims mit Nachhilfe in verschiedenen Fächern. Wie die Umsetzung des Online-Unterrichts gestaltet wurde, das war von Lehrer zu Lehrer unterschiedlich, berichtet er. Video-Konferenzen, Hausaufgaben per E-Mail, eine digitale Lernplattform, auf der Aufgaben gestellt werden - es gebe viele Möglichkeiten. Und alle funktionieren nur, wenn die Schüler Zugang zu Computer und Internet haben.

"Die Lehrer haben sich darauf verlassen, dass die Schüler die Ausstattung haben", sagt Grundmann. "Unsere Kinder im Heim sind aber doppelt abgehängt: sozial und technisch." Um das zu ändern, hat der Nachhilfelehrer gemeinsam mit dem Freundeskreis des Kinderheims, einer kleinen Gruppe von Förderern der Einrichtung, einen Spendenaufruf gestartet. Bislang konnten rund 5000 Euro gesammelt werden. Davon wurden einige Laptops angeschafft und verteilt, sodass jede Wohngruppe nun neben dem stationären Computer eines der mobilen Geräte zur Verfügung hat.

Dieser Erfolg motiviert Grundmann und Einrichtungsleiter Achim Weiss, er reicht ihnen jedoch noch nicht. "Wir wollen vorbereitet sein auf den Herbst. Bei erneuten Schließungen haben wir wieder die gleiche Situation", sagt Grundmann. Sein Wunsch wäre es, für jede Gruppe zwei bis drei Laptops und ein bis zwei Tablets kaufen zu können. "Mobile Arbeitsplätze sind wichtig", erläutert er. Denn in einer Wohngruppe leben Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen und aus unterschiedlichen Schularten. "Sie können nicht alle gemeinsam an einem Tisch arbeiten. Es wäre gut, wenn sie mit einem Laptop in ihren Zimmern lernen können."

Denn nicht nur die mangelnde Ausstattung verursache Probleme: Normalerweise sind die Kinder und Jugendlichen vormittags in der Schule, die Betreuer kommen erst gegen Mittag in die Einrichtung. "Das Problem der Eltern, die Betreuung sicherzustellen, hat sich hier potenziert", sagt Grundmann. Die Situation verunsicherte die Mitarbeiter der Einrichtung zu Beginn, wie Heilpädagogin Jutta Bisani erzählt: "Wir haben mit viel mehr Verhaltensproblemen gerechnet, weil es keinen strukturierten Tagesablauf, keine Therapie und keinen Sport mehr gab. Ich dachte wirklich, da würde es knallen." Doch die Kinder und Jugendlichen seien souverän mit den Einschränkungen umgegangen.

"Dieses Besinnen aufeinander hat Zufriedenheit geschaffen", sagt Bisani. "Die Wohngruppen waren wie eine behütete kleine Insel, wo den Kindern nichts passiert." Auch der Umgang mit der Technik bereitete den Schülern meist keine Probleme. "Natürlich kann nicht jedes Kind sofort einen Laptop bedienen, gerade in der Grundschule wird viel mit Papier und Buntstift gearbeitet", erzählt Bisani. "Aber wir hatten einen Jugendlichen hier, der auf eine Schule geht, in der das technische Lernen schon etabliert ist. Das hat uns gezeigt, dass das gut geht." Nachhilfelehrer Grundmann sieht den digitalen Unterricht zwar als Herausforderung, aber auch als Chance: "Die Kinder sind da offen." Einrichtungsleiter Weiss stimmt zu.

"Ich glaube, da kommt etwas in Gang. Viele Unternehmen überlegen ja, das Home-Office weiter zu ermöglichen, warum sollte man das nicht auch in der Schule umsetzen?" Bisher habe man in der Kinder- und Jugendhilfe zwar "verschlafen", die Technik auf den neuesten Stand zu bringen. Weiss, Grundmann und Bisani sind dennoch zuversichtlich, weitere Spenden für bessere Ausrüstung sammeln und die Kinder so beim digitalen Lernen unterstützen zu können.

Die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen freut sich über Spenden an das Konto der Inneren Mission München Diakonie in München und Oberbayern e.V. bei der Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg, IBAN DE21 7025 0150 0040 2517 61, Verwendungszweck Spende für Beschulung. Auch Gerätespenden in Form von neuen oder guten gebrauchten Laptops und Smartphones werden gerne angenommen.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2020
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