Süddeutsche Zeitung

Inszenierung:Faust und kein Ende

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Peter F. Schmids Fortsetzung von Goethes Tragödie als Stationentheater wird vor der Kulisse der Schleißheimer Schlösser trotz extremer Überlänge zu einem kurzweiligen Abend.

Von Udo Watter, Oberschleißheim

Junge Menschen mit schwarzen Rollis und funky Brillen spazieren entlang der prachtvollen barocken Fassade auf die große Terrasse zu, wild durcheinander parlierend: "Psychotherapie ist doch nur eine säkulare Form der Teufelsaustreibung." - "Homo homini lupus est." - " Der Teufel ist ein Mythos." Die existenzialistisch gewandeten Figuren erläutern hier, in der Abenddämmerung zwischen Neuem Schloss und Gartenanlage, die Frage nach dem Ursprung des Bösen.

Die Liaison zwischen Gehen und Denken ist ja schon seit der Antike bekannt - und wer sich am Wochenende in der Schlossanlage Schleißheim mit dem Wiener Theater "Bretterhaus" auf die Spuren von "Faust III" begab, der durfte quasi eine höhere Form des Lustwandelns genießen: en passant als mitwandernder Zuschauer nicht nur Erläuterungen zum Ursprung des Bösen lauschen, sondern beim Gang durch Arkaden und entlang der Kanäle auch spitzfindigen Gedanken zur Schauspielerei als "anthropologisches Experiment", maliziös-selbstreferenziellen Scharmützeln zwischen Regisseur und Autor oder weltanschaulich-spirituellen Inspirationen.

"Faust III", ein Stationentheater, das sich inklusive zweier Pausen in Schleißheim über mehr als sieben Stunden erstreckte, ist ein Ereignis. Eines, das die Zuschauer mitnimmt auf eine Reise durch Himmel und Erde zur Hölle, in innere Welten, in Grenzbereiche, ins Unbewusste. Ein Welttheater in glanzvoller Szenerie. "Großartige Kulisse", schwärmt Peter F. Schmid, der Regisseur und Autor des Stücks, der vor Jahren die fast tollkühne Idee entwickelte, Goethes beiden Bänden einen dritten Teil hinzuzufügen.

Wie sagt der Master of Ceremonies im Stück: Das "klassische Welttheater" à la Goethe sei "überholt", es müsse dekonstruiert werden. Schmid hat also der Tragödie dritter Teil geschrieben und die Handlung ins 21. Jahrhundert versetzt - Uraufführung war 2010 in Wien, in Schleißheim war jetzt an drei Tagen im Rahmen des "Faust-Festivals" eine aktualisierte Fassung zu sehen. Was der 1950 geborene Psychotherapeut und Schriftsteller da verfasst und mit seinem (mobilen) Ensemble inszeniert hat, ist beeindruckend. Die Fülle an Einfällen, Anspielungen, Handlungsepisoden mutet ebenso verblüffend und verführerisch an wie die Spiellust und Wandelbarkeit der Ensemblemitglieder, die auch in puncto Textsicherheit und Kostümpalette beeindrucken.

Der Plot überzeugt ebenfalls: Es beginnt damit, dass Faust erneut auf die Erde muss, da Mephisto im Himmel erfolgreich protestiert hat. In den folgenden Stunden küssen und schlagen sich Faust (Martin Fröhlich) und Mephisto (Andy Freund) auf allen möglichen Schauplätzen. Immer wieder taucht der Master of Ceremonies (Matthias Freund) auf, der auch lustvoll mit dem Publikum interagiert.

Es geht um die Frage, ob der Mensch von Grund auf böse oder gut sei, natürlich um die Liebe, aber auch um Lust und Stolz (Superbia). Eine große Rolle spielt die Psychoanalyse, die auch choreografisch zelebriert wird: freudianisch inspiriertes Bewegungstheater dunkel gekleideter Figuren, die nicht nur Faust angehen, sondern mitunter auch die Zuschauer ahnungsvoll streifen. Stark etwa die Szene in der Wilhelmskapelle des Alten Schlosses, wo einige düstere Figuren als Untote über den nach Unsterblichkeit dürstenden Protagonisten kriechen. Schön auch, wie sich die sieben Todsünden in einer Nummernrevue im Park vorstellen, wie der zum Weltpräsidenten gewordene Faust mit seinen von Allmachtsfantasien beschwipsten Wissenschaftlern im Speisesaal des Neuen Schlosses über Künstliche Intelligenz und "Neue Menschen" debattiert.

Im Laufe des Dramas, das durch viele humorvolle, teils Woody-Allen-artige Intermezzi, seiner metaphysischen Schwere enthoben wird, schreiten Autor und Darsteller quasi das gesamte Spektrum menschlicher Leidenschaften und Sehnsüchte aus - das Publikum wird definitiv nicht unterfordert und manches hätte man durchaus verdichten können.

Aber Schmid packt eben vieles rein: Das schwierige Verhältnis der Geschlechter wird thematisiert, die Gefahr politischen Populismus - oft versiert, mitunter einen Tick zwangsoriginell. Schön ist die Detailverliebtheit, das Spiel mit den Ebenen, die postmoderne Ironie, mal gibt's einen Schmäh (das Wienerische lässt sich eh so schön diabolisch-charmant färben), Musik, Tanz, Anspielungen auf Filme ("Cabaret", "Eyes wide shut") sowie Verweise auf Goethes Werk. "Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt", wird aus Faust II zitiert.

Ist es das? Grenzenloser Erkenntniswille, der doch nur in Egozentrik und Liebesunfähigkeit mündet. "Der Wunsch nach ständiger Verliebtheit ist die grausamste Form der Lieblosigkeit" sagt Rita, Gretchen des 21. Jahrhunderts. In der Schlussszene hat sie mit Faust eine Familie, er wirkt inzwischen klüger "als wie zuvor", sein Sohn indes zeigt schon wieder den alten Wissensdrang. Vielleicht lacht sich am Ende doch Mephisto ins Fäustchen.

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SZ vom 29.05.2018
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