Süddeutsche Zeitung

Herzoghaus:Ein Haufen Steine

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Weil das prägende Gebäude in Pullach laut Denkmalschutz nicht erhaltenswert ist, muss es der neuen Ortsmitte weichen

Von Claudia Wessel, Pullach

Es staubt und kracht am S-Bahnhof Pullach, was noch zu sehen ist, ist ein trauriger Anblick: Die Bagger sind am Mittwoch angerückt, um das Herzoghaus nun tatsächlich abzureißen. Schon nach wenigen Stunden war aus dem Kleinod ein Haufen Steine geworden. Schade, denn jedem, der daran vorbeiging, war die Besonderheit des Bauwerks aufgefallen. Das Haus hatte noch den Charme alter Zeiten.

Das aber war offensichtlich eine optische Täuschung, denn das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hatte bereits 2014 dem Vorschlag der Gemeinde, das Herzoghaus als Denkmal zu erhalten, eine Absage erteilt - mit dem Hinweis darauf, dass das Haus "nur mehr Reste von historischen Ausbauelementen aufweist" und nicht denkmalschutzwürdig sei. Da half auch die Einschätzung des Pullacher Archivars Christian Sachse nichts, der das Gebäude durchaus als erhaltenswert bezeichnete. Doch eine Sanierung wäre uferlos geworden. "Es tut weh, wenn das Haus verschwindet", sagte Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) schon im Mai im Gemeinderat, "aber das Gebäude kann nicht mehr ausreichend gesichert werden, Dachziegel fallen bereits herab". Die Kommunale Wohnungsbaugesellschaft leitete daher den Abriss des Herzoghauses in die Wege. Das wusste bisher schon jeder, doch der Anblick des tatsächlichen Vollzugs ist dennoch schmerzlich.

"Vor allem diejenigen unter Ihnen, die noch beim Herzog eingekauft haben, werden den Abriss des Herzoghauses mit einer Träne im Auge beobachten", schreibt Tausendfreund in einem Brief an die Pullacher auf der Homepage der Gemeinde. Auch für sie selbst trifft dies zu, denn sie ist in Pullach aufgewachsen. "Es tut mir selbst sehr leid um das 130 Jahre alte Haus, aber es hilft leider alles nichts." Die Bürgermeisterin versucht, die Traurigen aufzumuntern: "Vielleicht können Sie sich damit trösten, dass diese Fläche nun im Zuge des Ortsentwicklungsplanes für eine Belebung unserer Ortsmitte genutzt werden kann. Das gesamte Bahnhofsareal mit dem Bahnhofsgebäude, den Parkplätzen, der Tiefgarage und der Wiese darüber bildet zusammen mit dem Grundstück an der Bahnhofstraße 8 eine Fläche, die ein großes Potenzial hat - wenn auch nicht unbedingt in naher Zukunft, da andere Projekte wie die Schulen und das Freizeitbad zuerst anstehen." Jedoch könne auf dem "Herzog-Grundstück" auch vorab ein Teil eines Gesamtkonzeptes verwirklicht werden. Dafür könnten bereits ältere Planungsvarianten und Studien herangezogen werden, die seit 2011, unter anderem durch die Agenda21 und Architekten, entstanden seien.

Die Geschichte des Hauses beginnt um das Jahr 1888, wie auf der Homepage der Gemeinde zu lesen ist. Da wurde es als Alterswohnsitz des ehemaligen Gastwirts und Bürgermeisters Anton Köck im damals sehr beliebten "Schweizer Stil" erbaut. Nach wenigen Jahre schon wurde es zur Bahnhofswirtschaft umgebaut. 1919, während der Räteherrschaft, war die Bahnhofswirtschaft das Wachlokal des revolutionären Arbeiterrates in Pullach. 1925 dann wurde dort eine Filiale eines Münchner Konsumvereins eingerichtet. 1933 bis 1956 war in dem Gebäude eine Drogerie untergebracht, die von Rolf und Hannelore Herzog übernommen und zwei Jahre später um ein Reformhaus erweitert wurde. "Der Herzog von Pullach", den viele kannten, stand noch mit 80 Jahren hinter der Ladentheke, und erst 2001 wurde das Geschäft nach 45 Jahren - zwei Jahre nach seinem Tod - geschlossen.

Von 1996 bis 2005 war in einem kleinen Teil des Hauses noch eine Toto- und Lottoannahmestelle zu finden. Und kurzzeitig wurde nach Schließung der Drogerie an der Bahnhofstraße 8 das Obst- und Gemüsegeschäft Welzhofer betrieben. Die Wohnungsbaugesellschaft hat das Grundstück im Jahr 2005 erworben. "Das Haus hätte noch eine Menge mehr zu erzählen", so Tausendfreund. Mit seiner spannenden Geschichte hat sich auch Ortschronist Erwin Deprosse ausführlich befasst, der es natürlich besonders bedauert, dass das ortsbildprägende Gebäude nun abgerissen wird. Und noch eine Information möchte Tausendfreund den Bürgern mit auf den Weg geben: "Der Dönerstand, der in letzter Zeit vor dem Herzoghaus stand, ist nun donnerstags ab 10 Uhr auf dem Wochenmarkt am Kirchplatz zu finden."

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Quelle:
SZ vom 27.10.2018
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