Süddeutsche Zeitung

Haarer Verkehrsprojekt:Autos sollen sich unterordnen

Lesezeit: 2 min

Haarer Gemeinderat will Leibstraße zu verkehrsberuhigtem Geschäftsbereich machen. Die CSU ist für Einbahnregelung.

Von Bernhard Lohr, Haar

Nach Jahrzehnten der Diskussion zeichnet sich in Haar ab, wie die Leibstraße als Geschäftsstraße aufgewertet und der Verkehr beruhigt werden könnte. Der Gemeinderat hat am Dienstagabend beschlossen, zwei Szenarien weiterzuverfolgen, wobei sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen hat, die Leibstraße in einen "verkehrsberuhigten Geschäftsbereich" umzugestalten.

Das heißt, dass Kfz-Verkehr, Radfahrer und Fußgänger weiter getrennt blieben, allerdings der motorisierte Verkehr durch bauliche Veränderungen seine derzeit dominierende Präsenz verlöre. Es würden breite Seitenräume für Fußgänger entstehen, es gäbe mehr Bänke und Aufenthaltsqualität sowie auch Querungsmöglichkeiten - Parkplätze und das Tempo würden auf 20 Stundenkilometer reduziert. Auf diese Lösung steuert man in Haar zu, wobei im Zuge der Aufstellung eines Mobilitätskonzepts für die Gemeinde eine zweite Variante auf dem Tisch geblieben ist: die Leibstraße von der B 304 kommend bis zum Kreisverkehr in eine Einbahnstraße umzuwandeln, wofür die CSU-Fraktion gestimmt hat.

Die CSU pochte darauf, das zumindest zu prüfen, obwohl Verkehrsplaner Robert Ulzhöfer vom Büro "Stadt, Land, Verkehr" viele Nachteile bei solch einer Einbahnstraße erwartet, weil längere Wege notwendig würden und auch auf einer Einbahnstraße meist schneller gefahren werde, was in der Leibstraße ja keiner wolle. Die beiden Möglichkeiten sollen am Montag, 9. Dezember, den Bürgern in einer Versammlung vorgestellt werden, um deren Willen aufzunehmen.

Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) sagte nach der Gemeinderatssitzung am Dienstag, dort würden auch die anderen diskutierten Möglichkeiten präsentiert - also etwa eine Leibstraße als faktische Fußgängerzone, deren Befahrbarkeit mittels versenkbaren Pollern gesteuert werden könne und für die eine Shared-Space-Regelung gilt. Letzteres hieße, alle Verkehrsteilnehmer auf eine gemeinsame Fläche zu bringen, und so Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger auf gegenseitige Rücksichtnahme zu trimmen. Ton van Lier und Mike Seckinger von den Grünen konnten sich mit ihren Ideen aber im Gemeinderat nicht durchsetzen.

Geschäftsleute wollen "Pragmatismus"

Bürgermeisterin Müller warnte, die Leibstraße für den Autoverkehr radikal einzuschränken und so ihrer verbindenden Funktion zwischen den Ortsteilen in Haar zu berauben. Das sei mit ihr nicht machbar. Auch der Vorsitzende des Gewerbeverbands, Andreas Bukowski, und die Geschäftsleute, die die Gemeinderatssitzung verfolgten, warnten davor, weil sie viel Kundschaft aus Trudering etwa hätten, die mit dem Auto komme. Andreas Schwarcz vom Farbengeschäft Schwarcz-Malerei kann sich vorstellen, dass die Leibstraße durch einen "verkehrsberuhigten Geschäftsbereich" an Attraktivität gewinnen würde. Ähnlich sprach Mathias Willerer vom gleichnamigen Schreibwarenladen und bezeichnete ein Einbahnstraße als "schwierig". Johannes Geiger vom Schuhladen Geiger riet zu einer offenen Herangehensweise und "Pragmatismus".

Das Modell eines "verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs" wurde in vielen Kommunen wie etwa in Bad Rothenfelde in Niedersachsen, in Pritzwalk in Brandenburg oder in Wehr in Baden-Württemberg bereits umgesetzt. Beispiele zeigen Straßen, die mit farblich abgesetzten Flächen den Straßenraum rhythmisieren und zum langsamen Fahren animieren. Bordsteine sind flach oder durch Rinnen ersetzt, Bänke stehen am Straßenrand, es gibt Grünbereiche. Thomas Reichel (CSU) warnte vor Ausweichverkehr in Nebenstraßen und davor, den Expressbus auszubremsen, der die Leibstraße passiert. Dietrich Keymer (CSU) warnte vor den Folgen des Streichens von Parkplätzen. Bürgermeisterin Müller sagte, sie rechne mit Diskussionen über diesen unvermeidlichen Schritt.

Birgit Kastrup vom Planungsverband äußerer Wirtschaftsraum München, die das Mobilitätskonzept Haar betreut, hält den verkehrsberuhigten Geschäftsbereich in der Leibstraße trotz der hohen Verkehrsdichte für machbar. Andere Kommunen hätten dieses auf stark befahrenen Straßen umgesetzt. Der Einzelhandel habe sogar profitiert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4626230
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.