Süddeutsche Zeitung

Haar:Ganz vui Gfui

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Die Gemeinde steigt mit einem unterhaltsamen Empfang ins Festjahr zum 950-jährigen Bestehen ein. Es ist ein beschwingter Ausflug in die Historie inklusive einem eigenen Jubiläums-Song.

Von Bernhard Lohr, Haar

"Du bist alles, was i mag. Bei dir bin i dahoam, da hab i meine besten Tag." Seit Donnerstagabend haben die etliche Einwohner Haars die eingängigen Zeilen und die beschwingten Gute-Laune-Takte in ihrem Kopf, die den Jubiläumssommer zu den 950-Jahr-Feiern im Ort begleiten werden. Außer mit dem neuen Haar-Song übers "Haarer Gfui" gehen sie nach dem Jubiläumsempfang im Bürgerhaus, der den Auftakt zu den Festlichkeiten in diesem Jahr bildet, mit einigen tiefgründigen Erkenntnissen nach Hause. Sie haben ein Bild von Dietmar von Harde vor Augen, wissen, wie es Wolfgang Amadeus Mozart am 6. November 1780 bei seiner Fahrt durch Haar in seiner Kutsche erging und warum Haar vielleicht bald Stadt sein wird, aber sicher nie Gartenstadt. Und dann ist da noch die Sache mit Karl Marx.

Die Haarer verstehen es, Feiern als Gemeinschaftsprojekt zu inszenieren und wie beim Zamma-Festival 2017 von vorne bis hinten durch zu choreografieren. Es gibt dieses Mal ein 950-Jahr-Logo in frischen gelb-grünen Farben, Fahnen werden aufgezogen und Rathausmitarbeiter stülpen allen am Bahnhof abgestellten Fahrrädern Überzüge mit Logo über die Sitze. Insgesamt 60 Veranstaltungen gibt es in den kommenden Wochen, um Haar und seine Bürger zu feiern.

Am Donnerstagabend scheint es kurz, als wolle Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) bei der Begrüßung jeden Einzelnen im Saal persönlich erwähnen, doch dann bekommt er mit einem "Danke" an alle dafür, "dass Haar so lebendig ist", doch die Kurve zu einem locker unterhaltsamen Abend. Mit einem Rate-Mitmach-Spiel bringt Bukowski sogar gleich Schwung in den Saal.

Lehrreich ist der Ratespaß obendrein. So weiß am Ende jeder, dass Mozart sich auf dem holprigen Weg durch Haar einst den Hintern fast wundgesessen hat, aber der Ort der Qualen an der vielbefahrenen Salzstraße, die heute die B 304 ist, keineswegs Eingang in die Novelle "Mozart auf der Reise nach Prag" von Eduard Mörike gefunden hat. Dafür beruht die von Bukowski ebenfalls vorgetragene und für viele ebenso erfunden klingende Anekdote von der Feuerwehr auf Tatsachen, die einst mit Knallvorrichtungen hinter dem Rathaus die Alarmierung optimiert hat. Und ebenso wahr ist, dass der früher mal im Setzerhof gegenüber der Nikolauskirche wohnende Totengräber seine Stube mit Holz von halb verrotteten Särgen beheizt hat.

Der Bürgermeister darf an diesem Abend Talkmaster sein, und auch der Rekurs auf 950 Jahre Geschichte kommt in einer Bilderschau amüsant daher, bei der das Ereignis im Jahr 1073, auf dem die 950-Jahr-Feier fußt, lebendig ins Szene gesetzt ist: Grundherr Dietmar von Harde, auf dessen Name der Ort angeblich zurückgeht, erscheint, animiert wie in einem Computerspiel, im Gewand eines mittelalterlichen Edelmanns auf der Leinwand und erzählt von der ersten Nennung des Orts in einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV.. Auch Elisabeth von Lothringen, Mutter von Kuno II., die in der Urkunde den Vorläufer von Haar an das Kloster Rott am Inn vermachte, macht den 400 Gästen ihre Aufwartung.

Dabei ist Haar eine junge Gemeinde. Mitte des 19. Jahrhunderts bestand der Ort aus wenigen Häusern. Mit der Heil- und Pflegeanstalt explodierte nach 1905 die Zahl der Bürger, erst 1924 wurde Haar Gemeinde. 1926 kam das Telefon in den Ort und die Haarer Sparkasse als lokale Bank, weil man auswärtigen Geldinstituten nicht recht traute. Jetzt will man Stadt werden. Der Antrag ist gestellt. "Haar ist stadtklar", sagt Bukowski. Haar habe sich prächtig entwickelt, sei Mobilitätsdrehscheibe, bedeutender Klinikstandort und habe die Stadterhebung verdient.

Ein Alt-Linker mit Karl Marx

Auf dem Podium lotet in einem lockeren Gesprächsformat ein Quartett die aktuelle Haarer Befindlichkeit aus. Bürgermeister Bukowski lobt die "Vielfalt" und preist das "Kleine Theater" als seinen liebsten Ort. Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) beschwört das Miteinander von Gemeinde und Bezirk und Landrat Christoph Göbel (ebenfalls CSU), der mal Bürgermeister in der Würmtal-Gemeinde Gräfelfing war, liefert sich mit Haars Altbürgermeister Helmut Dworzak (SPD) einen beide sichtlich amüsierenden Schlagabtausch. Haar sei ein Gegenentwurf zu Gräfelfing, sagt Göbel. Und meint das sogar freundlich, wie sich zeigt.

Dabei habe er lange gefremdelt mit den Haarern, wo im Rathaus oft hart gerungen werde, gibt der Landrat zu. Er selbst sei in Gräfelfing nach Jahrzehnten der erste Bürgermeister mit Parteibuch gewesen und deshalb schon scheel angesehen worden, sagt Göbel. Ein Altbürgermeister, der wie in Haar einen "Karl-Marx-Abend" gestaltet, sei dort "nur schwer vorstellbar". Ihm hätten die Gräfelfinger immer signalisiert, ihren Gartenstadtcharakter bewahrt haben zu wollen. Dworzak zeigt gleich, wie es in Haar mit Leidenschaft zur Sache geht. "Stadt und Garten. Was für ein Blödsinn", sagt er, der bekennende Alt-Linke, der sich voll und ganz dem geordneten Städtebau verschrieben hat und im Ruhestand in Vorträgen den Kapitalismus analysiert.

Solch eine Beschäftigung mit politischen Theorien helfe einem Bürgermeister, sagt er. Mit dem "Überbau" im Hinterkopf habe man Haar zu einem Ort gemacht, in dem Vernetzung stattfinde, als Kontrast zur allgemeinen Konkurrenz und Vereinzelung. Göbel jedenfalls konstatiert: "In Haar kann man die Geschichte des Landkreises ablesen." Trotz rasanten Wachstums sei es gelungen, mit dem "Erhalt örtlicher Strukturen" den Ort lebendig zu erhalten und eine starke Identität auszubilden.

Kann man so etwas in Liedzeilen fassen? Manfred Pfeiffer aus Grasbrunn hat es in seinem Tonstudio im Keller hingekriegt und den Wettbewerb für den Song des Jubiläumssommers gewonnen. "Ois is easy", singt er, der an Haar besonders das Freibad genießt. "Du bist genau des, was i mag. Bei dir genieß i's Leben jeden Tag."

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