Süddeutsche Zeitung

Gewerbe:Wirtschaftsförderung am Weinstand

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Die Südtiroler Firma Torggler fand durch eine Zufallsbegegnung mit Bürgermeister Schelle bei einem Blasmusikfest nach Oberhaching

Von Iris Hilberth, Oberhaching

Um wenig Leerstände in den Gewerbegebieten und möglichst sprudelnde Steuerquellen zu garantieren, haben viele Gemeinden Experten für die Wirtschaftsförderung in ihren Rathäuser sitzen. Mitunter aber ist es doch nicht der Akquise der Referenten, sondern dem Zufall geschuldet, dass sich ein neues Unternehmen für einen Standort entscheidet. Und manchmal ist es auch einfach gut, wenn der Bürgermeister Tuba spielt.

Die Geschichte, wie die Südtiroler Firma Torggler nach Oberhaching kam, beginnt vor knapp zwei Jahren. Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) war gerade mit der Deisenhofener Blaskapelle auf dem Brunnenplatz in Obermais aufgetreten. Alle zwei Jahre ist in dem noblen Stadtteil von Meran Dorffest, und erstmals waren auch die Oberhachinger dank eines persönlichen Kontakts des Bürgermeisters zu diesem Blasmusik-Festival eingeladen. Am Weinstand kam er mit einem Mann ins Gespräch. "Ich dachte mir damals, ein gestandenes bayerisches Mannsbild in Lederhose und mit Hut, und der trinkt Wein und nicht Bier - das ist aber interessant", berichtet Christian Johannes von der ersten Begegnung mit Schelle. Der Firmeninhaber des Unternehmens für chemische Baustoffe aus Meran fragte ihn: "Und was machst du so?" Und Schelle antwortete: "Ich mach Bürgermeister."

Es entspann sich eine längere Unterhaltung, an deren Ende man die Telefonnummern ausgetauschte, da Johannes für seine Firma auf der Suche nach einem Standort in Süddeutschland war. Es folgte ein Treffen in Oberhaching, bei dem Schelle und sein persönlicher Referent und Wirtschaftsförderer Alexander Maierhöfer die Vorzüge ihrer Gemeinde anpriesen, vom günstigen Gewerbesteuer-Hebesatz sprachen, von der Breitbandversorgung und der guten Anbindung nach Süden. Dann hörten sie lange nichts mehr von Torggler, bis die Einladung zur Eröffnung im Rathausbriefkasten lag. "Mit deutschen Interessenten muss man einmal in der Woche verhandeln, mit den Südtirolern gehst du einmal Weißwurstessen, dann sind die Würfel gefallen", stellt Schelle fest.

Nun konnte man bei dem kleinen Festakt am Freitag in den neuen Büroräumen am Bajuwarenring beobachten, dass sich da zwei gefunden haben, die sich verstehen. Der Stefan und der Christian, der Bayer mit der Tuba und der Südtiroler, der Querflöte in der Bürgerkapelle spielte. "Natürlich haben wir auch andere Optionen abgewägt, mehrere mögliche Standorte betrachtet", sagt Johannes, "die Auswahl ist keine reine Sympathieentscheidung, sondern sie braucht ein kalkulatorisches Fundament", sagt der Firmenchef, "es reicht nicht, wenn alles bärig ist und toll."

Vor mehr als 150 Jahren begann Torggler als Kolonialwarengeschäft in Meran. Auch Baumaterialien hatte man damals schon im Sortiment, später, als es um den Bau von Brücken, Tunneln und Staudämmen ging, spezialisierten sich die Südtiroler darauf. Heute beschäftigt Torggler 230 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von 50 Millionen Euro. Hauptsitz ist in Marling bei Meran, Niederlassungen gibt es außer in Oberhaching im italienischen Rieti und in Polen. Produziert werden die Silikone, Mörtel, Polyurethan-Schäume, Abdichtungsmittel, Grundierungen, Betoninstandsetzungssysteme und Klebstoffe aber nicht in der neuen Filiale in Oberbayern. Hier sitzen nur Vertrieb, Verwaltung und Produktmanagement. Auch ein Schulungszentrum für Mitarbeiter und Kunden ist in Oberhaching angesiedelt.

Torggler startet zunächst mit fünf Angestellten, bis in zwei Jahren soll die Belegschaft verdoppelt werden, wie Geschäftsführer Benno Pamer ankündigt. "Wir sehen Potenzial in allen Dach-Ländern, sagt er, Deutschland, Österreich und Schweiz seien ein Gebiet mit hohen Wachstumschancen.

Auch Bürgermeister Stefan Schelle freut sich über den Neuen im Gewerbegebiet, in dem insgesamt 800 Firmen angesiedelt sind. "Es geht uns nicht darum, die großen Player nach Oberhaching zu locken", sagt er, "mit einem gesunden Mittelstand haben wir viele Betriebe, die es uns ermöglichen, als Gemeinde gut dazustehen."

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Quelle:
SZ vom 08.04.2019
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