Süddeutsche Zeitung

Gemäldeausstellung:Ganz schön fies

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Die Künstler Markus Jarusch und Christoph Hessel konfrontieren den Betrachter auf subtile Weise mit menschlichen Abgründen. Ihre Ausstellung ist bis 19. Dezember in der Galerie im Schlosspavillon in Ismaning zu sehen

Von Franziska Gerlach, Ismaning

Kunst kann hinterhältig sein: Da steht man an einem der letzten goldenen Herbsttage im pittoresken Ismaninger Schlosspavillon und ahnt nichts Böses, will einfach nur versinken in dieser watteweichen Wolkenwelt, die Markus Jaursch in Öl geschaffen hat, da sagt Gisela Hesse, Leiterin der Galerie im Schlosspavillon: Das Gemälde sei nach der Vorlage eines Fotos von einer Leichenverbrennung in Auschwitz entstanden. Jemand habe heimlich den Auslöser betätigt. Die Wolke ist gar keine richtige Wolke, es ist Rauch.

Ja, Kunst kann ziemlich hinterhältig sein. Sie kann den Betrachter täuschen, ihm etwas vorgaukeln. Und vielleicht muss sie das sogar, wenn ihre Botschaft verstanden werden will. In Ismaning macht das Schöne gewissermaßen auf das Brutale aufmerksam, das wird schnell klar beim Besuch der gemeinsamen Ausstellung von Jaursch und Christoph Hessel (bis zum 19. Dezember). Der Maler und der Radierer haben ihrer Schau den Titel "Malocchio - Böser Blick mit schöner Aussicht" gegeben, und die ist nicht nur ihrer gegensätzlichen Stilrichtungen wegen sehenswert.

Die Furcht vor "dem bösen Blick" kennt der streng katholische Süden Italiens, sie ist das Motiv zahlreicher Mythen und Märchen, im Hinduismus und im Islam versucht man ebenfalls, sich davor zu schützen. Den beiden befreundeten Künstlern, die an der Münchner Kunstakademie studiert haben, geht es dagegen weniger um das tatsächliche Böse im Blick, sondern darum, solchen Blicken mit einer gewissen Unerschrockenheit zu begegnen, das Böse "aus dem Blick heraus ins Sujet" zu verlegen, wie es im Katalog zur Ausstellung heißt. "Die Künstler meinen, durch die Bilder wird das Böse gebannt", sagt Gisela Hesse. Markus Jaursch, geboren 1965 in Augsburg, zum Beispiel macht das so: Er entfernt die Menschen aus Fotos - die meisten stammen aus dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel - und vervollständigt malerisch die verbliebene Landschaft. "Interpretationen des Vorgefundenen", nennt der Künstler, der seit 2006 an der Hochschule für Film und Fernsehen in München lehrt, seine Herangehensweise, und es ist gewiss kein Zufall, dass Jaursch für seine Bilder das Hochformat wählt, das Format des Porträts. Auf Holz oder MDF-Platten malte der Künstler mit dem Faible für die grazile Pinselführung des Fin de Siècle zwischen Hans Makart und Fernand Khnopff von 2020 an zarte Landschaften in Pastelltönen, in luftigem Blau, dezentem Grau und warmem Sandbraun, niemals aufdringlich, aber oft von dramatischer Schönheit.

Jaurschs Bilder zelebrieren das Weiche. Es sind Bilder, die man sich gerne übers Sofa hängt, weil sie Harmonie verströmen, so ausgewogen sind sie im Aufbau, so präzise, als seien sie am Computer entstanden. Der Schrecken offenbart sich in Ismaning dann in einer Glasvitrine, wo die Originalfotos darauf lauern, den Betrachter mit dem wahren Kern der Kunst zu konfrontieren: Vor der idyllischen Laubbaumszenerie stand im Original ein junges Paar aus Kitzbühel - es illustrierte den Fall eines 25-Jährigen, der seine ehemalige Freundin und deren Eltern erschossen hat. Was aussieht wie ein blaues Eismeer ist das Geröll nach einem Luftangriff in der syrischen Provinz Idlib. Manchmal braucht es eben das Schöne, damit man überhaupt hinschauen kann, das Böse erträgt. Einen Weichzeichner, der offenlegt, anstatt zu kaschieren. Den Schrecken in verdaulichen Häppchen anrichtet - und gerade deshalb nachwirkt.

Ganz anders verfährt Christoph Hessel mit dem "Malocchio", sein Zugang hat einen fiesen Witz, und wenn man partout eine Gemeinsamkeit dieser unterschiedlichen Künstler herauslösen möchte, so ist das vielleicht das Ansinnen, unsere Wahrnehmung konsequenter zu hinterfragen. Dem renommierten Radierer Hessel scheint es zumindest Spaß zu machen, den Betrachter mit einer Fülle an mehrdeutigen Details zu verwirren, mit Schrägem und Skurrilem und Verkorkstem.

Seine kolorierte Thusnelda-Illustration gleicht einem überbordenden Märchengarten mit kleinen Monstern, und irgendwie ist man beim Anblick dieser meisterlich gefertigten Arbeiten stets auf der Hut, den Künstler nicht falsch zu verstehen. Dass er sich gerne auf Otto Dix bezieht, wie Gisela Hesse erläutert, leuchtet ein, schließlich fand Dix das Grässliche ziemlich schön. Auch der 1952 geborene Hessel inszeniert das Hässliche und Abstoßende gekonnt. Er ist ein technisch versierter Fantast, der sich beim Entwurf seiner irren Welten nicht um chronologische Abfolgen schert, gelegentlich erinnern seine Bilder an einen Struwwelpeter für Erwachsene: Bei Hessel kommt Boris Johnson mit dem Minotaurus zusammen, in "Querdenker im Jahr des Rindviehs" hat Donald Trump im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verloren, bei "Tante Hilde in Quarantäne" wiederum wimmelt es von weiblichen Wesen, sodass man sich schon fragen muss, wo diese Hilde denn nun ist. Man sollte vielleicht nicht zu lange nach ihr suchen. Sich nicht zu sehr vereinnahmen lassen von Hessels hintersinnigen Anspielungen, und seien sie auch noch so genial. Es besteht die Gefahr, ihnen nicht mehr zu entkommen.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2021
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