Süddeutsche Zeitung

Gedenken in Haar:Die Zeit des Verdrängens ist vorbei

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Mit seiner Skulptur "Restlicht" erinnert der Künstler Werner Mally an die Patientenmorde während der NS-Zeit in Haar. Nach vielen Stationen hat sie nun einen festen Platz auf dem ehemaligen Klinikgelände.

Von Jessica Helbig, Haar

Das Gras ist noch nicht nachgewachsen rund um die großen Steinquadrate, die seit Kurzem auf der Wiese im Jugendstilpark liegen. Hier, auf dem ehemaligen Gelände der Klinik Eglfing-Haar, zwischen Wohnhäusern, Kindergarten und Theater, hat ein Denkmal nach langer Reise seinen endgültigen Platz gefunden: die Skulptur "Restlicht" des Münchener Künstlers Werner Mally. Mit ihr soll die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der Klinikgeschichte lebendig gehalten werden.

Zwischen 1938 und 1945 sind in der damaligen Pflege- und Heilanstalt Eglfing-Haar etwa 4000 Patientinnen und Patienten systematisch ermordet worden, darunter auch 332 Kinder. Sie wurden entweder von Haar aus in Tötungsanstalten deportiert oder starben in der Klinik selbst an Unterernährung, Vernachlässigung oder einer Medikamenten-Überdosis.

"Da kann man nicht in den Alltag übergehen. Da muss man erinnern", mahnt Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) angesichts der gravierenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die hier einst geschahen. Der besonderen Verantwortung, die aus der dunklen Geschichte des Ortes resultiert, ist sich auch die Klinik-Leitung bewusst. "Mich bewegt es sehr, dass dieses Mahnmal jetzt hier steht", sagt Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des Isar-Amper-Klinikums des Bezirks.

Doch nicht immer hatte das Erinnern an die Gräuel der NS-Zeit einen so hohen Stellenwert in Haar. Über Jahrzehnte waren die Patientenmorde und Deportationen ein Tabuthema am heutigen Isar-Amper-Klinikum. Erst gegen Ende der Achtzigerjahre gelang es Forschern und engagierten Mitarbeitern wie dem ehemaligen Krankenhauspfarrer Klaus Rückert, allmählich Licht ins Dunkel zu bringen.

1990 dann ließ der Bezirk Oberbayern neben der evangelischen Kapelle ein erstes Mahnmal errichten, das an die Verbrechen der sogenannten Euthanasie erinnern soll. Seitdem ist das Thema immer stärker in das Bewusstsein von Klinikleitung und Öffentlichkeit gerückt.

Mit der Errichtung der Skulptur "Restlicht" im Jugendstilpark wurde nun ein zweiter Gedenkort geschaffen. Das Kunstwerk besteht aus einer Metallplatte, die von vier Stelen getragen wird - wie ein Baldachin. In ihm sind die Jahreszahlen von 1938 bis 1945 eingestanzt. Fällt Licht darauf, werden die Zahlen im Schatten der Platte auf dem Boden sichtbar. Die Punkte, aus denen die Zahlen bestehen, erinnerten an die Tätowierungen, die "für die Häftlinge den Weg in die Unmenschlichkeit freigegeben" haben, erklärt Werner Mally seine Idee.

Der Künstler, der selbst fast drei Jahre lang sein Atelier auf dem Klinikgelände hatte, freut sich sehr über den neuen Standort seiner Skulptur. "Ich bin sehr, sehr glücklich", sagte er am Dienstag. Auf seinen Wunsch hin wurde "Restlicht" auch auf Steinplatten errichtet, deren Material aus dem Steinbruch des Konzentrationslagers Flossenbürg stammt.

Bevor das Kunstwerk seinen finalen Platz eingenommen hat, war es bereits an mehreren Orten in Deutschland und der Schweiz zu sehen. Zu seinen Stationen gehörten Bad Ragaz im schweizerischen Kanton St. Gallen, Geisenfeld, Berlin und Köln. Auch am Münchener Siegestor stand es bereits.

Ein Erinnerungsweg soll die Gedenkorte verbinden

Nach Haar haben sie der damalige Bürgermeister Helmut Dworzak (SPD) und Gemeinde-Mitarbeiterin Ute Dechent geholt. Gemeinsam mit dem Direktorium des Isar-Amper-Klinikums hat die Gemeinde Haar die Skulptur gekauft und sie unter Dworzaks Nachfolgerin Gabriele Müller (SPD) zunächst am Rathaus aufbauen lassen.

An seinem neuen Platz im Jugendstilpark ist das Kunstwerk Teil eines umfassenden Konzepts, das der Bezirk Oberbayern gemeinsam mit der Isar-Amper-Klinik umsetzt. Im Zuge dessen sollen auf dem Klinikgelände verschiedene Informations-, Lern- und Gedenkorte entstehen, die sich mit der Geschichte, Gegenwart und Zukunft der psychiatrischen Arbeit in Eglfing-Haar auseinandersetzen.

Über einen Erinnerungsweg soll die Gedenk-Skulptur mit dem Mahnmal an der Kapelle sowie mit anderen zentralen Schauplätzen der NS-Verbrechen auf dem Areal verbunden werden - etwa dem Kinderhaus und den Hungerhäusern für Männer und Frauen. Auch die Namen der etwa 4000 in der Pflege- und Heilanstalt Ermordeten werden entlang des Weges zu lesen sein.

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SZ vom 04.08.2021
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