Süddeutsche Zeitung

Erwachsenenbildung:Kritik an Mehrwertsteuer aufs Lernen

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Volkshochschulen befürchten durch einen Gesetzentwurf der Bundesregierung steigende Kursgebühren. In der Folge könnten Teilnehmer ausbleiben und das Bildungsangebot insgesamt gekürzt werden

Von Daniela Bode, Ottobrunn/Ismaning/Pullach

Ob Computerunterricht für Senioren, Fortbildung für Ehrenamtliche oder musikalische Früherziehung - zahlreiche Kurse an Volkshochschulen könnten schon bald deutlich teurer werden. Entsprechend groß ist die Kritik von den Trägern der Erwachsenenbildung im Landkreis an einem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung auf den parlamentarischen Weg gebracht hat und mit dem eine EU-Richtlinie umgesetzt werden soll. Diese verlangt, die Steuerbefreiung von Weiterbildungen zu verschärfen. Folglich könnten viele Kurse künftig der Umsatzsteuer unterliegen. "Damit wäre Bildung für alle passé", schimpft Johanna Daiminger, die Leiterin der Volkshochschule (VHS) in Pullach.

Nach dem Gesetzesentwurf wären nur noch Kurse von der Steuer befreit, die beruflich unmittelbar verwertbar sind oder dem Bereich Schul- oder Hochschulunterricht zugeordnet werden. Kurse, welche die Finanzbehörden als reine Freizeitgestaltung einstufen, wie dies jetzt schon bei Sport- und Gesundheitsangeboten die Regel ist, müssten dagegen besteuert werden. Auf viele Seminare entfielen damit in Zukunft 19 Prozent Mehrwertsteuer. In der Folge müssten die Bildungseinrichtungen ihre Kursgebühren wohl anheben.

"Die Pläne der Bundesregierung sind eine Katastrophe und konterkarieren alle Bemühungen, lebenslanges Lernen für alle Bürgerinnen und Bürger niederschwellig, also auch kostengünstig, anbieten zu können", sagt Christof Schulz, der Leiter der Volkshochschule Südost mit Sitz in Ottobrunn. Dort rechnet man im Falle einer Umlegung der Steuer auf die Kursgebühren mit einem erheblichen Nachfragerückgang. Die Volkshochschulen würden "in wichtigen Feldern wie beispielsweise der politischen Bildung" durch fehlende Einnahmen weniger aktiv sein können. "Die Vielfalt unseres Angebotes ist massiv bedroht", sagt Schulz. Ähnlich beurteilt Johanna Daiminger aus Pullach die Situation: "Die Volkshochschulen müssten das eins zu eins an die Kursteilnehmer weitergeben, das ist fatal, weil die Kurse teurer werden würden." Die Sorge teilt auch der Deusche Volkshochschulverband: "Volkshochschulen könnten gezwungen sein, die Kursgebühren entsprechend anzuheben", sagt Vorsitzender Martin Rabanus.

Auch Lothar Stetz, der Leiter der Volkshochschule im Norden des Landkreises München mit Sitz in Ismaning, missfallen die Pläne der Regierung: "Wir könnten die Besteuerung nicht über die Kursgebühren weitergeben, weil sich unsere Klientel dann die Kurse nicht mehr leisten kann", sagt er. Für Teilnehmer, die schauen müssten, wofür sie im teuren München ihr begrenztes Einkommen ausgeben, mache es einen großen Unterschied, ob sie zehn oder zwanzig Euro mehr für einen Kurs zahlten. Für einige Volkshochschulen hätte das seiner Ansicht nach zur Folge, dass sich die chronische Unterfinanzierung weiter verschlechtern würde.

Die Volkshochschulleiter kritisieren außerdem den engen Bildungsbegriff in dem Gesetzesentwurf. Daiminger hält die Trennung zwischen "beruflich verwertbar" oder "reine Freizeitgestaltung" für falsch. "Wer sich in einem Kurs kreativ betätigt, kann diese Kreativität ja auch für den beruflichen Alltag nutzen", sagt sie. Außerdem schließe man mit der Trennung einzelne Personengruppen wie Senioren aus, die nicht mehr im Berufsleben stehen.

Auch Stetz lehnt die Verengung des Bildungsbegriffs ab. "Es geht ja nicht nur um den Sprachkurs an sich, sondern um die Teilhabe an der Gesellschaft", sagt er. Vor dem Hintergrund, dass immer mehr politische Polarisierung stattfinde oder über Fake News diskutiert werde, hält er ein entsprechend breit gefächertes Weiterbildungsangebot durch die Volkshochschulen für besonders angebracht. Das betont auch sein Ottobrunner Kollege Schulz: "Die Bedürfnisse sind vielfältig und so sind es auch die Bildungsangebote. Diese Vielfalt gilt es auszubauen und zu fördern."

Wie ihre Kollegen hält Nicole Leber, die Leiterin der VHS Haar, die Entwicklung für verkehrt. "Wir haben uns gefreut, dass durch das bayerische Erwachsenenbildungsförderungsgesetz die Mittel für die Volkshochschulen erhöht wurden. Jetzt wird von anderer Seite die Arbeit wieder erschwert." Der Vorstoß sei ein Rückschritt, was das Thema lebenslanges Lernen betrifft. Dass das Geld, das der Staat durch die Umsatzsteuer einnähme, durch Zuschüsse wieder an die Volkshochschulen zurückfließe, glaubt Schulz dabei nicht. Für ihn gibt es daher nur eine Lösung: "Wir brauchen viel mehr Unterstützung und Investitionen in Bildung, deshalb muss die Besteuerung komplett vom Tisch."

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Quelle:
SZ vom 17.09.2019
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