Süddeutsche Zeitung

Das Fußballjahr im Landkreis München:Denkmäler und Burn-outs

Lesezeit: 4 min

Die SpVgg Unterhaching macht den Löwen vor, wie man aus der Regionalliga nach oben kommt, Unterföhrings vermutlich kurzer Aufenthalt in Liga vier und der Existenzkampf des VfR Garching

Von Stefan Galler

Vier Fanbusse und jede Menge Individualfahrer hatten sich auf den 43o Kilometer langen Weg gemacht, um dort den größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte zu feiern: Am 31. Mai kehrte die SpVgg Unterhaching durch ein 2:2 in Elversberg nach zwei Jahren in der Regionalliga in die dritte Fußball-Liga zurück.

Die Feier ist überschwänglich: Kapitän Josef Welzmüller, der scheidende Stürmer Markus Einsiedler und alle anderen genießen das Bad in der Menge, denn die mitgereisten etwa 700 Haching-Fans haben gleich nach dem Schlusspfiff den Rasen gestürmt. Es gibt die obligatorischen Bierduschen, eine der Leitfiguren im Team, Ulrich Taffertshofer, sagt gerührt, die abgelaufene Saison sei so etwas wie "ein Denkmal, auf das man später auch mal schauen kann". Mit 20 Punkten Vorsprung hatte das Team von Claus Schromm die Regionalligasaison abgeschlossen, eine Dominanz, von der in der aktuellen Spielzeit auch der TSV 1860 München träumt. Aber alles wäre für die Katz gewesen, hätte man in den Aufstiegsspielen gegen den Zweiten der Regionalliga Südwest versagt. Haching gewinnt das Hinspiel im eigenen Sportpark mit 3:0, in Elversberg genügt dann das 2:2 für den großen Wurf. Und in der neuen Spielklasse hat sich die Mannschaft mit dem überragenden Spielgestalter Sascha Bigalke, Top-Torjäger Stephan Hain und Routiniers wie Dominik Stahl und Max Nicu recht schnell akklimatisiert. Zum Jahreswechsel liegt man auf Platz fünf, nur zwei Zähler hinter dem dritten Rang, der zur Aufstiegsrelegation zur zweiten Liga berechtigen würde und der zurzeit vom SV Wehen Wiesbaden belegt wird. Nach unten ist die Situation komfortabel, man hat 17 Punkte Vorsprung auf die Abstiegsplätze. Wäre schon ein Ding, würde den Rot-Blauen bereits in dieser Saison der Durchmarsch gelingen. Irgendwann muss man aus der finanziell nicht sehr attraktiven Liga heraus. Klubpräsident Manfred Schwabl ist mit seiner umtriebigen Art damit beschäftigt, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, so möchte der Verein in absehbarer Zeit das Stadion am Sportpark von der Gemeinde übernehmen und selbst betreiben. "Wenn wir jetzt nicht die nötige Infrastruktur schaffen, dann gehe ich lieber wandern", sagt der Präsident.

Auch andere Fußballklubs aus dem Landkreis haben ein bewegtes Jahr hinter sich. Man nehme den FC Unterföhring, der erstmals in seiner Vereinsgeschichte den Sprung in die vierthöchste Liga packt. Mit immensem Einsatz schaffte Klubpräsident Franz Faber die Voraussetzungen dafür, zunächst einmal brauchten sie eine Spielstätte, denn der neue Sportpark in der prosperierenden Mediengemeinde muss erst noch gebaut werden und auf der Anlage an der heimischen Bergstraße ist Regionalligafußball wegen der bestehenden Regularien des Bayerischen Fußball-Verbandes nicht möglich. Man wurde in Heimstetten fündig, dort trägt der FCU nun seine Heimspiele aus. Allerdings dürfte das Abenteuer Viertklassigkeit im Sommer schon wieder vorbei sein, der abgeschlagene Tabellenletzte hat erst ein Spiel gewonnen, die Lücke zum rettenden Ufer ist 14 Punkte breit. Dennoch werden die Spieler Highlights wie das Heimspiel gegen die Löwen (0:3) vor 2500 Zuschauern nicht vergessen. Auch der arg strapazierte Präsident genießt die Erlebnisse, trotz aller Anstrengung: "Es ist einfach brutal", sagt Faber im Herbst. "Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich ein Fußball-Burnout habe."

Ähnliches macht Franz Hölzl in diesem Jahr mit, der Fußball-Abteilungsleiter des VfR Garching zieht aus der dauernden Belastung die Konsequenzen und stellt sein Amt zur Verfügung. Zuvor hat er gemeinsam mit Trainer Daniel Weber die Herkulesaufgabe geschultert, den Verein auf finanziell solide Beine zu stellen. Sie suchten Sponsoren, handelten Unterstützerverträge aus, schmiedeten Kooperationen mit der Stadt. Dadurch vermied man den freiwilligen Rückzug aus der Regionalliga. Und unfreiwillig werden die Garchinger ebenfalls nicht weichen: Nach einer glänzenden Herbstrunde mit 29 Punkten aus 20 Partien liegt man schon sieben Punkte oberhalb der gefährdeten Zone.

Und was kommt von unten nach? Höchstwahrscheinlich nicht der SV Pullach, der im Sommer 2017 erstmals mit Champagner und dicken Zigarren die Bayernligameisterschaft feiert. Kaum zu glauben, wie Trainer Frank Schmöller seine Elf immer wieder zu Höchstleistungen coacht, obwohl ein Aufstieg in die Regionalliga nicht infrage kommt, weil der Sportplatz an der Gistlstraße mitten im Wohngebiet liegt und es keine Chance gibt, durch Umbauten die Vorgaben des Verbandes zu erfüllen. Nachdem ein Ausweichen auf eine andere Spielstätte scheiterte, hat man sich bei den Isartalern mit der Situation abgefunden. Und dennoch kämpfen die "Raben" auch diese Saison wieder um den Titel mit. "Von der Motivation her habe ich definitiv keine Ermüdungserscheinungen", sagt Schmöller. "Ich finde es sogar eine sehr spannende Aufgabe, die Titelverteidigung zu schaffen."

Einen Punkt liegen die Pullacher derzeit hinter dem Bayernliga-Spitzenreiter - und auch der ist im Landkreis München beheimatet: Der SV Heimstetten eilt unter seinem neuen, jung-dynamischen Trainer-Dreigestirn Christoph Schmitt, 32, Lennart Hasenbeck, 28, und Memis Ünver, 27, von Sieg zu Sieg. Und kann dabei vor allem auf ein Offensivtrio vertrauen, gegenüber dem sich sogar die treffsichersten Sturmreihen Europas hinten anstellen müssen: Sebastiano Nappo (18 Tore), Lukas Riglewski (17) und Orhan Akkurt (14) haben zusammen schon 49 Mal eingenetzt. Es müsste einiges schief laufen, wenn das Team aus der Gemeinde Kirchheim nicht von Juli an viertklassig spielen sollte.

Davon ist der FC Ismaning meilenweit entfernt, im Sommer trennt man sich von Trainer Xhevat Muriqi, einer Institution im Verein. Nachfolger Rainer Elfinger hat es auch wegen einer fiesen Verletzungsmisere im Team noch nicht geschafft, sich in oberen Tabellenregionen festzubeißen.

Auch in den Bezirks- und Landesligen wurde 2017 munter auf- und abgestiegen, so schaffte der TSV Grünwald nach elf Jahren die Rückkehr in die Landesliga, auch der TSV Neuried kletterte nach oben, ist allerdings schon wieder ziemlich akut abstiegsgefährdet. Im Norden stieg Grüne Heide Ismaning erst zum zweiten Mal in der Klubgeschichte in die Bezirksliga auf und im Osten kämpft der TSV Ottobrunn gegen den Abstieg in die Kreisliga. Es dreht sich was im Landkreis, König Fußball ist und bleibt flächendeckend ein Phänomen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3807868
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.12.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.