Süddeutsche Zeitung

Aying:Die Uhr tickt

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Mit ihrem Kurzfilm haben sich vier Ayinger Schüler für die Endrunde des "99-Films"-Wettbewerbs qualifiziert. Für die Produktion ist nur 99 Stunden Zeit

Von Britta Rybicki, Aying

"Ohrwurm, geh weg", schreit Paul, der am Rande des Wahnsinns steht. Endlich trifft er das Mädchen, in das er schon Jahre verliebt ist - und dann? "Ihm fehlen die Worte, weil er sich nicht konzentrieren kann", sagt der 18-jährige Luca Weissenbacher, während er mit seinen Mitstreitern stolz die Schlüsselszene ihres Kurzfilms "Akte-O" betrachtet. Darin thematisieren die vier Schüler Paul Ferrel, Luca Weissenbacher, Kilian Kiemer und Simon Kobler ihren Alltagsstress: den Ohrwurm. Ständig schwirrt der Hauptfigur die Melodie des Zauberlehrlings von Paul Dukas im Kopf herum. Die Posaune dringt so dominant durch sein Hirn, dass er seine Liebeserklärung nicht in Worte fassen kann.

Der Anlass für den skurrilen Kurzfilm? Der diesjährige Wettbewerb "99-Films-Award" in Berlin. Unter der Themenvorgabe "Alltagsprobleme" sollten die Teilnehmer in 99 Stunden einen 99 Sekunden langen Film produzieren. Als jüngstes Team von insgesamt 3000 Bewerbern schafften es die Schüler in die Endrunde unter die 99 Besten. Obwohl es in diesem Jahr noch nicht für einen Platz ganz oben gereicht hat, sind die Jugendlichen stolz auf ihr Werk. "Wir hätten nicht erwartet, dass wir uns gegen die ganzen Profis durchsetzen können", sagt Luca, der gemeinsam mit Simon die Kameraführung übernahm.

Viele Mitwirkende kommen aus der Theater-AG

Die größte Herausforderung war ohne Zweifel das kurze Zeitfenster. Einen ganzen Tag verbringt das Ayinger Filmteam nur damit, eine gute Geschichte zu finden. Dann kommt Paul auf den Ohrwurm: "Mir passiert es sehr oft, dass mich eine Melodie den ganzen Tag nicht mehr loslässt und wahnsinnig nervt." Bereits in der Theater-AG am Gymnasium in Ottobrunn schrieb er Drehbücher und weiß, worauf es ankommt. "Ich bin da sehr perfektionistisch und habe das Drehbuch immer wieder umgeschrieben", erklärt Paul.

Erst am Samstagmorgen steht die Geschichte, die Uhr tickt: In nur 26 Stunden müssen die Ayinger und Ottobrunner Schüler Schauspieler finden, Kulissen organisieren, die Szenen abdrehen und das Bildmaterial schneiden. Sie haben Glück, denn insgesamt 14 Mitwirkende unterstützen sie bei ihrem Projekt. Ein Großteil sind Freunde und Mitschüler aus der Theater-AG. "Sogar die Freiwillige Feuerwehr Aying hat uns ein Auto für den Transport geliehen", erzählt Luca.

Die Dreharbeiten starten sie im Badezimmer von Lucas Eltern. Als die ersten Szenen im Kasten sind geht es weiter ins Café Ottobrunn. "Hier war es besonders schwer, die Lichtverhältnisse anzupassen", sagt Luca. Das große Schaufenster durchflutet den Raum zwar mit Tageslicht, es wirft aber Schatten, die sie ausbessern müssen. Die Spots - Handleuchten - haben sie sich von der Schule geliehen. Drei Stunden später ist es geschafft, sie ziehen zum nächsten Drehort weiter: der Sporthalle des SV Helfendorf. "Bis zu dem Moment, als wir in der Halle standen, wussten wir nicht, ob wir da wirklich drehen können", sagt Luca.

Kurz nach Mitternacht heißt es: "Cut!"

Durch die guten Kontakte zum Verein erhalten die Jugendlichen eine spontane Genehmigung. Der großzügige Raum ist nicht nur für das Bühnenbild entscheidend, auch die Hintergrundmusik von Posaunist Kilian profitiert davon. Damit die voluminöse Posaune gut klinge, brauche sie schließlich Platz, erklärt Kilian. Seine Idee geht nur fast auf: Die Töne schallen, weil die Halle zu leer ist. "Es ist eben doch keine Konzerthalle." Sie müssen in den Geräteraum ausweichen: Zwischen Matten, Medizinbällen und Reck spielt der 20-Jährige das kurze Motiv aus dem Werk "Zauberlehrling" ein.

Um Mitternacht heißt es dann endlich "Cut!", die Dreharbeiten sind fertig - der Film aber noch lange nicht. Gut zwei Stunden Bildmaterial müssen auf 99 Sekunden gekürzt und anschließend vertont werden. Für Luca ist das Schneiden kein Problem. Seit der sechsten Klasse besucht er die Film-AG am Gymnasium Ottobrunn, schon dreimal hat er am Kurzfilm-Wettbewerb teilgenommen. "Seit mir mein Lehrer gesagt hat, dass ich einen guten Blick habe, ist das Filmen zu meiner Leidenschaft geworden", sagt Luca. Paul hingegen kann sich nur schwer von Szenen trennen. "Gegen 4 Uhr dachte ich, das wird alles nichts mehr", erinnert er sich. Am Morgen schließlich landet der Kurzfilm im Postfach der Wettbewerbsveranstalter.

Wenige Tage später erhalten die Ayinger eine E-Mail: die Einladung zur Preisverleihung in Berlin. Dass ihr Kurzfilm am Ende keinen Preis gewonnen hat, ist für die vier Filmemacher keinesfalls eine Niederlage. "Es ist Motivation weiter zu machen", sagt Luca. Neue Filmprojekte sind schon in Arbeit.

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Quelle:
SZ vom 04.03.2017
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