Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:Im Bauernwald fühlen sich seltene Pflanzen und Tiere wohl

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Weil die Holzpreise ohnehin im Keller sind, hat sich der Heimstettner Landwirt Franz Glasl vertraglich verpflichtet, tote Bäume stehen zu lassen. So verdient er etwas Geld, hilft der Natur und dem Wild.

Von Irmengard Gnau, Kirchheim

Es ist ein Versuch, sagt Franz Glasl. Der Versuch, zwei Dinge unter einen Hut zu bringen, die sich nicht immer ganz grün sind: die Landwirtschaft und den Naturschutz. Hier aber, irgendwo hinter dem Kirchheimer Gemeindeteil Hausen, könnte das gelingen. Dafür stapft Glasl, 27 Jahre alt und Landwirt aus Heimstetten, an diesem trüben Herbstvormittag mit Georg Kasberger, Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ebersberg (AELF), durch den Wald.

Auf den umliegenden Feldern brummen die Erntemaschinen. Kasberger und Glasl biegen vom Weg ab und stehen rasch im hohen Gras. Äste liegen auf dem Waldboden, das Moos glänzt regenfeucht auf den hohen Stämmen. Brombeerranken versuchen, vorbeigehende Hosenbeine zu fassen. Eine Esche reckt ihre Äste majestätisch in den Himmel. Was beinahe wirkt wie ein kleiner Urwald, ist "ein klassischer Bauernwald", wie Kasberger sagt. Und damit ideal für Kasbergers Ziel.

"Bauernwald bedeutet: Dieses Waldstück wurde von seinen Besitzern traditionell vor allem zur Selbstversorgung genutzt", sagt Kasberger. "Dort ist gewachsen, was wuchs, und wurde rausgenommen, was umgefallen ist." Nur etwa fünf Prozent der Fläche auf Kirchheimer Gebiet sind bewaldet.

Die meisten Grundbesitzer konzentrieren sich seit jeher auf den Ackerbau. Der Forstwirtschaft kam dementsprechend eine sehr geringe Bedeutung zu, die wenigsten Landwirte pflanzten aktiv neue Baumsorten an. Der Wald blieb im Großen und Ganzen sich selbst überlassen und zeigt bis heute ein Abbild seiner ursprünglichen Form. "Natürliche Waldgesellschaft" nennen Fachleute wie Kasberger solche Vorkommen.

"Dieser Wald dürfte zwischen 100 und 200 Jahren alt sein", schätzt der Behördenleiter. Was dem Auge des Laien vorkommen mag wie ein ungepflegtes Durcheinander aus umgestürzten Stämmen und undurchdringlichem Unterholz, ist ein bewusst geschütztes Dorado für den Artenschutz: In alten Bäumen, die anderswo längst gefällt worden wären, um ihr Holz zu verarbeiten, finden Spechte und andere Vögel Bruthöhlen. Auf Totholz, das nicht entsorgt, sondern im Wald belassen wird, können sich Pilze und Insekten ansiedeln. So finden Käfer wie der selten gewordene Eremit einen neuen Lebensraum.

Damit Forstbesitzer in ihren Wäldern einige alte Stämme als Biotopbäume stehen lassen, gibt es in Bayern das "Vertragsnaturschutzprogramm Wald". Es versucht, Waldbesitzern einen Anreiz zu geben, um ihre Bestände nicht nur unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten, sondern den Natur- und Artenschutz mit zu bedenken.

Gefördert wird unter anderem der Erhalt sogenannter Biotopbäume: Für jeden geeigneten Baum, den ein Waldbesitzer stehen lässt, erhält er vom Staat eine Kompensationszahlung von 125 bis 195 Euro je nach Beschaffenheit des Baumes; dafür verpflichtet er sich auf zwölf Jahre, den besagten Baum als Biotopbaum zu erhalten. Für Totholz gibt es 95 Euro.

In Franz Glasls circa 3000 Quadratmeter großem Waldstück tragen insgesamt 16 Bäume die Plakette des AELF und sind somit als Biotopbäume zu erkennen. Im Frühjahr hat er den Vertrag mit der Behörde unterzeichnet; er ist einer von aktuell 15 Landwirten im Zuständigkeitsbereich des AELF Ebersberg, die an dem Programm teilnehmen. Reich wird Glasl durch die Fördergelder nicht. Dennoch, sagt er, habe er sich überzeugen lassen, aus mehreren Gründen.

Aktuell braucht der Landwirt das Holz aus seinem Bestand nicht - Schädlinge wie der Borkenkäfer und das Eschentriebsterben haben in den vergangenen Jahren die Waldbesitzer im Landkreis und darüber hinaus gezwungen, sehr viele Bäume zu fällen; dadurch ist die Nachfrage übererfüllt, die Holzpreise sind stark gefallen.

Er habe deshalb ein besseres Gefühl, sagt Glasl, wenn das Holz in seinem Wald nicht einfach liegen bleibt, sondern dem Artenschutz zugute kommt und damit noch einen Nutzen hat. Außerdem sieht der Landwirt und Jäger einen weiteren Vorteil darin, wenn Waldstücke von der Bewirtschaftung ausgenommen bleiben. "Wir brauchen solche Naturschutzinseln, damit das Wild sich zurückziehen kann", sagt Glasl. Insbesondere heutzutage, da immer mehr Erholungssuchende in Wald und Flur strömten.

Für die kommenden zwölf Jahre versuchen sich Franz Glasl und Georg Kasberger nun als Partner im Artenschutz. Behördenleiter Kasberger sieht in dem Förderprogramm auch eine Chance, die Zusammenarbeit zwischen den Landwirten in der Region und den Unteren Naturschutzbehörden zu verbessern. Sein Amt, so hofft er, könne dabei Brücken schlagen, mit Initiativen wie dem Vertragsnaturschutz Wald.

Der Forst also als Begegnungsgebiet? "Ich glaube, viele Landwirte wären bereit, mit dem Naturschutz zu kooperieren, wenn der Staat bereit ist, Geld dafür auszugeben", sagt Glasl. Das Nutzungsrecht wolle man sich als Landwirt allerdings nicht gänzlich nehmen lassen. Anreize sind daher aus seiner Sicht der bessere Weg als Vorgaben.

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Quelle:
SZ vom 05.11.2020
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