Süddeutsche Zeitung

Laim:Die Seuche klopft bei jedem an

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Der neue Titel der historischen Romanreihe des Autors Oliver Pötzsch spielt während der Pest-Epidemie im Jahr 1679 - und die Handlung weist einige kulturelle, wirtschaftliche und soziale Parallelen zur Corona-Krise auf

Von Stefanie Schwetz, Laim

Als im Jahr 1679 in Wien die Pest ausbrach, war das für die Bayern Grund zu großer Sorge. Der Laimer Autor Oliver Pötzsch hat die Handlung seines aktuellen Romans aus der Reihe über die Familie des Scharfrichters Jakob Kuisl in den Sommer jenes Pest-Jahres verlegt, als die Krankheit nach Bayern überschwappte. In Pötzschs Geschichte breitet sie sich schließlich in Kaufbeuren aus und rückt damit in die Nähe des Heimatortes der Protagonisten.

Vor eineinhalb Jahren hat Pötzsch mit der Recherche begonnen. Vor einem Jahr hat er angefangen zu schreiben. Und nun, während in München zwar nicht die Pest wütet, aber die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten wächst, überarbeitet er den Text. Die Abgabe eilt, denn der Verlag hat den Erscheinungstermin vorverlegt. Und auch den Titel geändert - von "Die Henkerstochter und der Herr der Ratten" in "Die Henkerstochter und der Fluch der Pest". An der Geschichte indes, die wie alle Titel aus der Henkerstochter-Reihe ein historischer Krimi ist, hat das nichts geändert. Denn die Pest hatte Pötzsch von Anfang an als zentrales Motiv der Erzählung ins Auge gefasst - als archetypisches Phänomen, an dem sich die Urängste des Menschen kristallisieren. Das habe ihn gefesselt.

"Ich will die Pest auf keinen Fall mit dem Coronavirus vergleichen", betont der Autor immer wieder. "Schließlich fielen dieser Krankheit einst ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer." Gleichwohl gebe es erstaunliche Parallelen, was den Einfluss auf das kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben angeht. Die Hamsterkäufe, die Verschwörungstheorien, die Hygienemaßnahmen, die Jagd auf Medikamente und Schutzausrüstung - damals Kräuter und Schnabelmasken, heute ist es der Mundschutz. Und so wie kürzlich erst der kleine Ort Mitterteich mit seinen Corona-Infizierten komplett von der Außenwelt abgeschirmt wurde, riegelte man auch im Mittelalter unter Einsatz von Soldaten ganze Städte ab.

Natürlich wollten damals wie heute viele die drohende Gefahr zunächst nicht wahrhaben, was Pötzsch auch in seinem Buch thematisiert. Ein Beispiel liefert jene Szene, die in München spielt: Beim abendlichen Glas Wein erzählt der Medicus Simon seiner Frau Magdalena, was er kürzlich in der Zeitung gelesen habe. In Wien soll die Pest ausgebrochen sein. Um die Ängste der Gattin vor "jener gottverfluchten Geißel Gottes" zu zerstreuen, beruhigt er sie mit den Worten "Es gibt nur erste Anzeichen, nichts Bestimmtes. (...) Vermutlich ist es nicht mehr als ein Gerücht. Jedes Fieber wird ja mittlerweile für die Pest gehalten. Und vielleicht ist es ja auch etwas ganz Anderes."

Und auch die folgende Begebenheit aus dem Buch klingt heute vertraut. Als der Sohn des Paares bei einer Reise nach Wien schließlich Zeuge des durch die Pest verursachten Grauens wird, erklärt ihm ein abgeklärter Totengräber, dass die hohen Herren immer noch den Deckel über diese Krankheit hielten, damit der Handel nicht einbreche. "Schwadronieren von einem Fieber, das sich heilen lässt. Na, lang wird das nicht mehr gut gehen. Jeden Tag werden es mehr, und irgendwann schlüpft die Pest auch in die Wiener Hofburg. Ob Kaiser oder Bettelmann, die Seuche klopft bei jedem an."

In Wahrheit zogen sich die Reichen damals aus den verseuchten Städten aufs Land zurück, ähnlich wie sie in unserer Zeit aus den Metropolen in ihre Wochenenddomizile ziehen. Und so wie derzeit das kulturelle Leben nahezu zum Erliegen kommt oder ins Netz verlegt wird, lässt Pötzsch in seiner Geschichte nach langem Hin und Her über die wirtschaftlichen Folgen das Kaufbeurer Tänzelfest absagen.

Man könnte dem Autor angesichts dieses Romans durchaus seismografische Fähigkeiten bescheinigen - die bis in sein Privatleben reichen. Denn während der Sohn des Medicus auf der Rückreise aus Wien in einem Dorf festsitzt und nicht mehr wegkommt, musste der Sohn des Autors in der aktuellen Krise wochenlang in Peru ausharren, bis er endlich einen Rückflug bekam. Demut, Nachdenken über die Globalisierung und die Rückkehr zu kleineren Einheiten - das sind die Lehren, die für Oliver Pötzsch zu ziehen sind aus dieser Ausnahmesituation, die auch Überraschendes zutage fördert. Dass Politik in der Krise offenbar nicht so schwerfällig ist, wie man gemeinhin denkt, und dass das, was wir am Ende brauchen, ein "fürsorglicher Staat" sei, wie er sagt.

Was aber unsere Ängste vor unkontrollierbaren Seuchen angeht, da seien wir trotz allen Fortschritts gar nicht so viel weitergekommen, findet er. Vielleicht zählt deshalb umso mehr der Zusammenhalt zwischen Freunden und Verwandten - oder wie Simons Förderer und Kollege Geiger es gleich zu Beginn des Buches ausdrückt: "Familie ist ein wertvolles Gut. Vielleicht das wertvollste, das wir haben. Gerade in diesen unruhigen Zeiten."

Oliver Pötzsch: Die Henkerstochter und der Fluch der Pest. Historischer Roman, Ullstein Buchverlage, 736 Seiten

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SZ vom 11.04.2020
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