Süddeutsche Zeitung

Laim:Alles so normal hier

Lesezeit: 3 min

Neue Initiative will Bewegung ins Viertel bringen. Viele Bewohner schätzen dessen Durchschnittlichkeit

Von Andrea Schlaier, Laim

Unterm Strich steht ein "Ja, aber", so was also wie Liebe mit Einschränkungen. Denn wie's aussieht, leben viele Laimer außerordentlich gerne in ihrem Viertel. Aber es deshalb euphorisch zu preisen, das ginge dann doch zu weit. Alles in allem, das hat eine - nicht repräsentative - Umfrage der Initiative "Inlaim" quer durch sämtliche Generationen und Wohnmilieus ergeben, goutieren die etwa 300 Befragten aber ihr Heimatquartier. "Man wohnt hier, hat keine Erwartungshaltung, dass viel passiert, es gibt praktische Einkaufsmöglichkeiten und man ist schnell in der Stadt." Diese Quintessenz machten die Inlaim-Feldforscherinnen in etlichen Interviews aus, die sie mit Unterstützung der Hochschule München im Frühsommer geführt haben.

Teams aus Ehrenamtlichen und Studierenden suchten in Lokalen, an Tramhäuschen, in Geschäften, Parks oder beim Hofflohmarkt das Gespräch oder legten Postkarten in rege besuchten Einrichtungen aus. Abgefragt wurden Lieblings- und unfreundliche Orte, charakteristische Adjektive fürs Viertel und Tiere, die die Wesensart des 25. Bezirks beschreiben. Die Antworten fielen nicht wahnsinnig überraschend aus: Die Kreuzungen der Fürstenrieder Straße zur Agnes-Bernauer-Straße und zur Gotthard-Straße gelten als dreckig, gefährlich voll, zu eng für ein Miteinander aus Radfahrern und Fußgängern, die Fürstenrieder Straße überdies als Trenngraben des Viertels, die S-Bahn-Unterführung als unselige Landmarke, das Viertel manchem als zu langweilig. Anderen scheint das Quartier gemütlich wie ein Bär oder "herrlich verschlafen" wie ein Murmeltier. Viele Befragte schätzten den Bezirk, weil er "ruhig und normal" sei, kein "Eventstadtteil, nicht hip und kommerzialisiert". Lisbeth Haas, eine der Inlaim-Initiatorinnen und für die Grünen im Bezirksausschuss, stellt außerdem verwundert fest: "Viele Laimer halten ihren Stadtteil gar nicht für so dicht bebaut und loben grüne Erholungsgebiete, die streng genommen gar nicht zum Viertel gehören, wie den Westpark oder die Baumschule." "Kleine, feine Treffpunkte" würden geschätzt, so die Kleinkunstbühne Interim, Lokalitäten wie die Konditorei Detterbeck oder das Speisezimmer; selbst der Kiosk vor dem Basic-Supermarkt wird gelobt. "Das Tolle bei der Befragung war", sagt Petra Stockdreher vom Inlaim-Kernteam, "dass wir darüber mit so vielen ins Gespräch gekommen sind und die Leute untereinander auch."

Das ist im Grunde auch ein wesentliches Ziel der vor zwei Jahren gegründeten Inlaim-Gruppe: Menschen, die im Viertel wohnen, inklusive der Geflüchteten in den Unterkünften, in Verbindung miteinander zu bringen und sie anzuregen, sich ein eigenes kulturelles und gesellschaftliches Programm maßzuschneidern - frei von Konsumzwang. Klingt schwer nach Soziologinnenstrategie - ist es ein Stück weit auch. Eine der zentralen Figuren ist die Sozialwissenschaftlerin Petra Stockdreher.

Entsprechend professionell und zugleich wie bei vergangenen Aktionen auch mit großer Lust am Experiment werden die Erkenntnisse der "Laimer Touren" jetzt bei durchaus Aufsehen erregenden Performances präsentiert, mit Masken von Murmeltier, Bär, Hund und Katze, die Laim charakterisieren sollen, eigens komponierter Musik, darunter einem Laimer Landler, Gedichten und historischen Erläuterungen. Das nächste Mal am Samstag, 12. Oktober, 11 bis 13 Uhr, am Willibaldplatz (bei Regen fällt's aus).

Die Ressourcen, die der Stadtteil habe, will das junge Team in einem nächsten Schritt bergen und die von "vielen, vielen Menschen" offerierten Engagements, das eigene Lebensumfeld mitzugestalten, dann verknüpfen. Seit Anfang September gibt's dafür als Umschlagplatz und Ideenwerkstatt einen schmucken Ladenraum in einem hübsch herausgeputzten Genossenschaftsbau an der Guido-Schneble-Straße 24.

Stockdreher, Haas und Künstlerin Sophie Johanna Kaiser haben dorthin zur Nachlese der Umfrage gebeten - an einen geliehenen Tisch und geliehene Stühle. Improvisation ist angesagt, nachdem eine schwarz-rote Mehrheit im Laimer Bezirksausschuss den Frauen im ersten Anlauf die finanzielle Unterstützung für die Erstausstattung versagt hatte - dafür waren einzig die Grünen. Die Not wird nun in eine Tugend verkehrt: "Kochen ohne Küche - gerollt und gewickelt" heißt eine folgende Aktion, eine andere "Backen in vielen Öfen". Der Teig wird im Laden gerollt auf Blechen der Nachbarn, die heimgehen, die Köstlichkeiten aufbacken und zum Essen wieder an der geliehenen Tafel zusammenkommen. Alles mögliche könne in diesem freien Raum künftig stattfinden, sagt Kaiser, Film- und Spielabende, thematische Veranstaltungen mit der Hochschule München, Migrationsrunden, verzahnt werden sollen immer Soziales und Kultur. Und "Ja", mittwochs zwischen 14 und 17 Uhr steht die Tür für Interessierte auf. Ein "Aber" gibt es dabei erst mal nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4633778
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.