Süddeutsche Zeitung

KZ-Gedenkstätte Dachau:Verweigerung und Vernunft

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Nichts war leicht, nichts war selbstverständlich: Bis die Gedenkstätte das neue Gesicht Dachaus prägen konnte, vergehen wechselvolle Jahre.

Hans Holzhaider

Wir schreiben das Jahr 2009, genau 64 Jahre sind vergangen, seit Einheiten der US-Armee am 29. April 1945 das Konzentrationslager Dachau befreiten. Von den rund 32.000 Gefangenen, die diesen Tag erlebten, leben nicht mehr viele, und diese wenigen sind jetzt sehr, sehr alt. Wer in jenem Jahr geboren wurde, spielt heute mit seinen Enkelkindern.

So lange hat es gedauert, bis der Aufbau der Gedenkstätte, die an das erste deutsche Konzentrationslager und die mehr als 40.000 dort ermordeten oder an Hunger und Krankheit gestorbenen Gefangenen erinnert, mit der Fertigstellung eines Besucherzentrums einen befriedigenden Abschluss gefunden hat.

Es gab so viel anderes zu tun

Nichts war leicht, nichts war selbstverständlich in der Geschichte der KZ-Gedenkstätte in Dachau. Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wachzuhalten war alles andere als eine Priorität in den ersten zwanzig Jahren der Geschichte der Bundesrepublik. Es gab so viel anderes zu tun.

In den ersten Jahren nach der Befreiung nutzten die Amerikaner die KZ-Baracken als Internierungslager für ehemalige SS-Angehörige und NSDAP-Funktionäre. Im Herbst 1948 zogen Flüchtlinge in die von den Amerikanern verlassenen Baracken ein; aus dem Internierungslager wurde die "Wohnsiedlung Dachau-Ost", eine eigene kleine Stadt mit Schule, Kirche, Kindergarten, Gastwirtschaft und Einzelhandelsgeschäften aller Art. Als die Flüchtlinge in den 50er Jahren nach und nach in Neubauwohnungen umziehen konnten, wurden die leeren Baracken dem Erdboden gleichgemacht, und wenn es nach den Dachauer Behörden gegangen wäre, hätte man die wenigen authentischen Überreste des Konzentrationslagers wie das Krematorium gleich mit abgerissen. Das scheiterte am Widerstand der ehemaligen Häftlinge.

Dass 1965, 20 Jahre nach der Befreiung, endlich eine Gedenkstätte auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers entstand, ist einer ungewöhnlichen Koalition zu verdanken: Der bayerische Landwirtschaftsminister Alois Hundhammer, ein in der Wolle gefärbter Konservativer, der Kommunist Otto Kohlhofer, ein einfacher Angestellter in Hundhammers Ministerium, und der katholische Weihbischof Johannes Neuhäusler, alle drei ehemalige Dachauer KZ-Häftlinge, wirkten zusammen, um die Errichtung der Gedenkstätte durchzusetzen.

"Es gab eine sehr starke Abwehr"

In Dachau aber sprachen die Leute weiter vom "KZ", wenn sie die Gedenkstätte meinten, und das war symptomatisch für die bundesdeutsche Wirklichkeit. "Es gab eine sehr starke Abwehr", sagt Barbara Distel, die die Gedenkstätte von 1975 bis 2008 leitete. "Das Interesse war marginal, es gab nur ein sehr begrenztes Publikum, kaum Schulklassen". Im Unterricht an deutschen Schulen fristete der Nationalsozialismus bis in die 70er Jahre hinein nur ein Schattendasein.

Das änderte sich erst mit der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie "Holocaust" im Januar 1979. Die Besucherzahlen in der Gedenkstätte schnellten hoch auf bis zu einer Million jährlich. Aber je mehr Menschen nach Dachau kamen, desto rigider wurde dort die Abwehr. Die Dachauer Kommunalpolitiker - vor allem diejenigen der CSU - erstarrten in einer geradezu neurotischen Verweigerungshaltung. Sie sahen sich selbst als Opfer, als Sündenböcke der deutschen Geschichte, die stellvertretend für alle die ganze Last der "Vergangenheitsbewältigung" zu tragen hätten.

Seinen skurrilen Höhepunkt fand das 1980, als die deutschen Sinti ihre Absicht bekundeten, in Dachau ein Kulturzentrum zu errichten. In einer denkwürdigen Sitzung schmetterte der Dachauer Stadtrat dieses Ansinnen ab mit der Begründung, die Dachauer hätten an der KZ-Gedenkstätte schon schwer genug zu tragen. "Als kleine diskriminierte Minderheit", gab der damalige Oberbürgermeister Lorenz Reitmeier den Sinti mit auf den Weg, "teilen die Dachauer Bürger das bedauernswerte Schicksal der Zigeuner."

Abstimmung im Bierzelt

1981 wurde in Dachau ein Verein gegründet, der sich den Bau einer Jugendbegegnungsstätte auf die Fahne schrieb, weil es für die zahllosen Schulklassen und Jugendgruppen, die jetzt die Gedenkstätte besuchten, keinerlei Übernachtungs- und Betreuungsmöglichkeit gab. Es wurde ein 17 Jahre währender Kampf. Ein CSU-Politiker schwor, seine Partei werde "bis zum letzten Blutstropfen" gegen diese neuerliche Zumutung fechten, der 2. Bürgermeister ließ beim Volksfest im Bierzelt über die "Vergangenheitsbewältigungsstätte" abstimmen - mit vorhersehbarem Ergebnis. 1998 wurde sie dann doch eingeweiht.

1995 war mit Edmund Stoiber zum ersten Mal ein bayerischer Ministerpräsident in offizieller Eigenschaft in die KZ-Gedenkstätte gekommen - weder Alfons Goppel noch Franz Josef Strauß hatten je den Weg dorthin gefunden. 1996 schied Oberbürgermeister Reitmeier aus dem Amt, eine neue Generation zog ins Rathaus ein. In Dachau gibt es jetzt ein Amt für Kultur und Zeitgeschichte und einen eigenen Zeitgeschichtsbeauftragten. 2005 wurden auf einstimmigen Beschluss des Stadtrats "Stolpersteine" zum Andenken an die aus Dachau vertriebenen jüdischen Bürger verlegt. Von der einst so umkämpften Jugendbegegnungsstätte sagt der heutige Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU): "Wir können uns glücklich schätzen, sie zu haben." Im Katalog zu einer Dachau-Ausstellung in Atlanta im amerikanischen Bundesstaat Georgia schreibt Bürgel: "Dachau will eine Stadt des Friedens und ein Ort des Lernens und der Erinnerung für die Jugend der Welt sein. Das ist ihre oberste Verpflichtung aus ihrer Geschichte."

Und die Welt antwortet auf dieses neue Gesicht Dachaus: Als erster Deutscher wurde Bürgel zu den Gedenkfeiern an die Schlacht von Arnheim im niederländischen Osterbeek eingeladen. Erst vor wenigen Wochen erhielt er vom Bürgermeisters von Oradour eine Einladung zum 65. Jahrestag des Massakers, das die SS im Juni 1944 in der französischen Kleinstadt anrichtete.

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SZ vom 30.04.2009/pfau
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