Süddeutsche Zeitung

Kostümbildnerin:Kleider machen heute

Lesezeit: 4 min

Die aus München stammende Kostümbildnerin Bina Daigeler arbeitet für Regiestars wie Pedro Almodóvar oder Jim Jarmusch - zuletzt hat sie für den Hollyood-Film "Mulan" über eine chinesische Kriegerin zu historischen Materialien geforscht

Von Josef Grübl

Auf dem Weg nach Miami wusste sie, dass es nun besser sei, abzubrechen. Das war Mitte März, Bina Daigeler flog da schon seit Wochen in Sachen "Mulan" um die Welt. Für diesen Hollywoodfilm über eine chinesische Kriegerin hat sie die Kostüme gestaltet, es ist das größte Projekt ihrer Karriere. Auch der Disney-Konzern erwartete viel von dem actionreichen Abenteuer, es sollte Ende März überall auf der Welt in den Kinos anlaufen. 200 Millionen Dollar hat der Film angeblich gekostet, deshalb schickte Disney die wichtigsten Beteiligten auf eine weltweite Pressetour. Im Februar war Daigeler auf der Berlinale, danach ging es weiter zur Weltpremiere nach Los Angeles, anschließend flog sie mit der Regisseurin Niki Caro nach Mexiko und Miami. Dann kam der Corona-Lockdown, der Filmstart wurde abgesagt, die Kinos wurden geschlossen. Und die Kostümbildnerin flog nach Hause und schloss sich mehrere Monate lang ein.

Zuhause heißt für sie Madrid, seit dreißig Jahren lebt sie in der spanischen Hauptstadt. Genauso lang arbeitet sie in ihrem Beruf, auch vor "Mulan" war sie schon gefragt, sie entwarf Kostüme für Weltstars wie Jennifer Aniston, Tilda Swinton, Bruce Willis, Javier Bardem oder Penélope Cruz. Geboren ist sie aber in München, im Jahr 1965, ihre Kindheit verbrachte sie in Ottobrunn. Hin und wieder kommt sie zurück, dann besucht sie Freunde und Familie.

Bei einem München-Abstecher im vergangenen Jahr will sie sich am Gärtnerplatz treffen. Man schlendert ein bisschen herum, kehrt im "Bellevue di Monaco" ein. "Schöne Aussicht, das klingt gut", sagt sie, dann erzählt sie von ihren eigenen Aussichten. "Ich wollte nach der Schule etwas Handwerkliches machen", sagt sie, "also entschied ich mich für eine Schneiderlehre." Sie fing beim Kostümverleih Breuer an, einer Institution in der Schwabinger Hohenzollernstraße. Dort gingen auch Filmleute ein und aus, für Sabine Daigeler, die irgendwann in dieser Zeit zur Bina wurde, war das der erste Kontakt mit der Branche.

Es waren die Achtzigerjahre, in Deutschland feierten Serien wie die Ballettmädchen-Schmonzette "Anna" große Erfolge. Bina Daigeler arbeitete dabei als Garderobiere, kümmerte sich also am Drehort um die Kostüme und kleidete die Darsteller ein. Zur selben Zeit war sie schon regelmäßig in Spanien, genauer gesagt auf der Kanareninsel Lanzarote. Ihre Familie hatte dort ein Ferienhaus, dort lernte sie auch Leute aus der spanischen Filmbranche kennen. "Es war die Zeit der Movida", erzählt sie, "da wollte ich dabei sein."

Der heimliche Star der Movida, der spanischen Jugend- und Kulturbewegung der Achtzigerjahre, die nach dem Ende der Franco-Zeit wilde Blüten trieb, war ein Regisseur, der bald ein Weltstar werden sollte: Pedro Almodóvar. Mit ihm wollten alle drehen, erzählt sie, bis zu ihrem Kennenlernen sollte es aber noch ein bisschen dauern. Zunächst arbeitete Daigeler als Assistentin bei deutschen Serien ("Der Schattenmann") oder internationalen Kinofilmen ("Das Geisterhaus") mit. 1999 war es aber soweit, da durfte sie für Almodóvars Film "Alles über meine Mutter" die Kostüme entwerfen. "Pedro ist sehr modeinteressiert und weiß genau, was er will", sagt sie, ihr Film wurde ein Welthit und mit allen erdenklichen Preisen (Oscar, Goya, Golden Globe, Regiepreis in Cannes) ausgezeichnet. Auch für Almodóvars Kinoerfolg "Volver" aus dem Jahr 2006 gestaltete sie die Kostüme.

Danach kamen die Anfragen aus Amerika, von Regiestars wie Steven Soderbergh, Jim Jarmusch oder Oliver Stone. Während Soderbergh beim Dreh des Che-Guevara-Zweiteilers "Che" schnell Entscheidungen traf, war Jarmusch ("The Limits of Control") diskussionsfreudiger: "Mit ihm kann man einen ganzen Nachmittag über die Farbe eines Pullovers reden", sagt Daigeler. Dabei fällt der Blick auf ihren eigenen Pullover, den sie an diesem Nachmittag in München trägt - ein schickes Designerstück, das gut zu ihrem Teint und den langen braunen Haaren passt.

Obwohl Daigeler seit vielen Jahren mit einem Spanier verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat, wird sie von ihren spanischen Kollegen immer noch "La alemana" genannt. Die Deutsche also, das liege an ihrem Akzent. In ihrem Beruf sei sie aber ohnehin Nomadin, erzählt sie bei einem zweiten Treffen dieses Jahr im Februar in Berlin. Da geht es dann wieder um ihren bisher größten Film, da weiß sie noch nicht, dass es nichts wird mit dem Kinostart im März. Dieses Mal schlägt sie den Treffpunkt vor, ein Café in Schönberg, wieder trägt sie einen raffinierten Pullover, diesmal in dunkelblau.

"Ich war fast das ganze Jahr 2018 für 'Mulan' in Neuseeland", erzählt sie. Davor sei sie mehrere Wochen durch China gereist, wo sie in Museen und Archiven historische Kostümmodelle studierte. Die Filmkostüme sollten historisch und modern zugleich sein, aus natürlichen Materialien wie Seide, Leinen oder Baumwolle angefertigt werden, außerdem mussten sie actiontauglich sein. Sie ließ alle Kleider, Hüte, Schuhe und Accessoires selbst anfertigen, allein die Modistin stellte 1350 Hutmodelle her. Daigeler war Chefin eines Riesenteams, in Auckland beaufsichtigte sie eine eigene Kostümwerkstatt.

Dort saß sie auch, als im April 2018 die Deutschen Filmpreise in Berlin vergeben wurden. Sie gewann in der Kategorie "Bestes Kostümbild", abholen konnte sie die Auszeichnung für ihre Arbeit an der Filminstallation "Manifesto" jedoch nicht. Der Preis blieb also eine Randnotiz. Von diesem Projekt des Künstlers Julian Rosefeldt schwärmt sie noch heute. Sie hätte nur zwei Tage Zeit für Kostümproben gehabt, der volle Terminkalender von Cate Blanchett habe nicht mehr erlaubt. Dabei dreht sich der Film ausschließlich um sie, der Hollywoodstar spielt 13 verschiedene Rollen, unter anderem eine Brokerin, Nachrichtensprecherin oder Obdachlose. Doch es gab ein Wiedersehen mit Blanchett, im vergangenen Jahr drehten sie gemeinsam eine US-Serie: "Mrs. America" wurde vor kurzem für zehn Emmys nominiert, unter anderem auch für die Kostüme von Bina Daigeler.

Es läuft also für die deutsche Kostümbildnerin, trotz des "Mulan"-Kinodebakels. "Natürlich bin ich traurig darüber", sagt sie Ende August am Telefon. Aber es geht weiter, außerdem hat der Film eine neue Heimat gefunden: Er ist seit ein paar Tagen beim Streamingdienst Disney Plus gegen Aufpreis abrufbar. Und das nicht nur in München, Madrid oder Miami.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2020
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