Konflikte im Straßenverkehr:"Als Radfahrer bist du das Letzte"
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Rücksichtslose Autofahrer versus "Kampfradler": Auf Münchens Straßen ärgern sich viele Verkehrsteilnehmer. Vor allem übereinander. Ein Fahrradkurier, ein Taxifahrer, eine Kindergärtnerin, eine Hundetrainerin und ein Pizza-Lieferant erzählen.
Von Christoph Meyer
Michael Severin, 33, Fahrradkurier: "Als Radfahrer bist du im Straßenverkehr das Letzte. Für Autofahrer bist du der Bremser, für Fußgänger der aggressive Raser. Hinzu kommt eine schlechte Infrastruktur: Selbst in München, das sich gerne selbst als 'Radlhauptstadt' feiert, sind die Straßen für den Autoverkehr ausgelegt. In Kopenhagen oder Amsterdam ist das ganz anders, da gehören Radler ganz selbstverständlich zum Stadtbild dazu. Die Radwege sind breit und es ist klar, dass die Radfahrer an der Ampel an den Autos vorbeifahren dürfen und früher Grün bekommen. Die Radlwege in München sind einfach zu schmal, das macht es schwer, andere zu überholen. Ich muss das aber tun, weil ich berufsbedingt schnell fahren muss.
Gefährlich wird es für uns Radler immer dann, wenn uns die Autofahrer beim Abbiegen übersehen. Schuld daran ist nicht zuletzt die Autoindustrie: Die Fenster werden immer kleiner und die Fahrer haben oft gar keine Möglichkeit mehr, uns zu sehen. Die Sicht behindern aber auch Wahlplakate. Die sind immer an den Knotenpunkten angebracht und hängen oft noch lange nach der Wahl.
Unter den Autofahrern gibt es viele rücksichtslose Gesellen, etwa die, die auf Radwegen parken. Das zwingt mich, entweder auf die Fahrbahn oder auf den Gehweg zu wechseln. Am schlimmsten sind aber die, die noch schnell überholen, um dann abrupt abzubremsen und rechts abzubiegen. Bei den Fußgängern stören mich am meisten die Hundebesitzer, die ihren Vierbeiner auf dem Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Radweg spazieren führen. Die spannen dann die Hundeleine quer über den Radweg - und wenn man dann klingelt, wird man auch noch beschimpft."
Sabine Wagner, 53, Leiterin der Kindertagesstätte Karl und Liesl: "Wir müssen mit den Kindern oft die viel befahrene Pilgersheimer Straße überqueren, wenn wir zum Spielplatz gehen oder zum Kindergarten, der auch zu unserer Einrichtung gehört. Die nächste Fußgängerampel ist mehrere Hundert Meter weit entfernt. Dabei wäre es ganz gut, wenn es noch eine Ampel mehr gäbe, dann würden die Autos auch nicht so schnell fahren.
Die ganz Kleinen fahren wir im Bollerwagen, aber die Dreijährigen gehen schon zu Fuß über die Straße. Da kann es schon auch mal zu gefährlichen Situationen mit Radfahrern kommen. Viele nehmen zwar Rücksicht, aber manche preschen von hinten heran und klingeln wie verrückt. Die Kinder reagieren dann oft so, dass sie in die Richtung laufen wollen, aus der das Klingeln kommt. Da schreie ich dann schon mal einem Radfahrer hinterher, dass er besser aufpassen soll, und merke mir das Gesicht, falls man sich mal beim Einkaufen treffen sollte.
Insgesamt kann ich mich nie darauf verlassen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer korrekt verhalten. Für mich heißt es immer: Augen und Ohren offenhalten und im Zweifel mit den Kindern stehen bleiben und warten."
Thomas Kroker, 45, Taxifahrer: "Der Fahrradfahrer ist ein relativ unberechenbarer Verkehrsteilnehmer. Man kann schwer voraussehen, wie er sich verhalten wird. Die Radler fahren über Rot, nachts ohne Licht und schwenken manchmal unerwartet aus. Das liegt meines Erachtens daran, dass sie sich unter dem Schutzmantel der Anonymität sicher fühlen. Es gibt ja keine Kennzeichen am Fahrrad und die Radler denken, dass die Polizei sie sowieso nicht rauszieht.
Ich fahre seit 24 Jahren Taxi und ich habe das Gefühl, die Konflikte werden immer mehr. Das liegt nicht daran, dass die Radfahrer dreister werden, es gibt einfach heutzutage immer mehr Räder auf der Straße.
Mit Skatern und Rollerbladern haben wir als Taxifahrer keine Probleme. Es ist gut, dass Montagsabends die 'Blade Night' stattfindet. Bei gutem Wetter fahren die Rollerblader dann immer auf abgesperrten Strecken durch die Innenstadt. Dann sind zwar ein paar Straßen nicht befahrbar, aber es konzentriert sich wenigstens alles auf einen Tag."
Sorina Szeli, 34, Hundetrainerin und Hundetherapeutin: "Ich gehe oft mit zehn bis fünfzehn Hunden gleichzeitig im Olympiapark oder im Englischen Garten Gassi. Viele Radfahrer wissen nicht, dass sie langsamer werden müssen, wenn sie an Hunden vorbeifahren, weil Hunde sie nicht hören können und erschrecken. Die Hunde verstehen nicht, was das Klingeln bedeutet, es stresst sie nur. Wenn so ein Radler vorbeibraust, kann es dann schon einmal sein, dass ein Hund versucht ihn zu jagen oder ihm vors Rad läuft. Gefährlich ist das für beide.
Bei Skatern und Rollerbladern sind es die ungewohnten Geräusche, die den Hunden Angst machen. Da wäre mehr Vorsicht angebracht. Mit den Autofahrern kommen wir dagegen seltener in Konflikt. Aber wenn wir eine Straße überqueren, brauchen wir natürlich viel länger als ein Fußgänger mit nur einem Hund. Da kann es schon mal sein, dass die Autofahrer schon wieder Grün bekommen und wir noch nicht auf der anderen Seite angekommen sind. Die Autos fangen dann oft an zu hupen, die Hunde bekommen Angst, rennen durcheinander und es dauert alles noch viel länger, weil ich erst einmal die vielen Leinen wieder auseinanderknoten muss."
Paul Masare, 26, Pizza-Unternehmer: "Bei uns gilt die einfache Formel: mehr Fahrten, mehr Trinkgeld. Auch deswegen muss ich flott unterwegs sein. Da bin ich darauf angewiesen, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten. Zu brenzligen Situationen kommt es oft mit Radfahrern, weil viele einfach tun was sie wollen und sich dabei auch noch im Recht fühlen. Besonders dreist sind sie nachts, wenn nicht mehr so viele Autos unterwegs sind. Sie fahren dann ohne Licht knüppelhart über rote Ampeln und merken nicht einmal wenn man sie anhupt, weil sie Kopfhörer aufhaben und Musik hören.
Natürlich gibt es auch bei den Pizzalieferanten schwarze Schafe. Manche fahren über den Gehweg, wenn sie damit eine rote Ampel umgehen können, oder schlängeln sich an wartenden Autos so dicht vorbei, dass der eine oder andere Spiegel abbricht. Es gibt eben immer Cowboys und Vernünftige.
Sorgen mache ich mir, weil immer mehr Pizza-Unternehmer ihren Fuhrpark auf E-Bikes umstellen. Die sind sehr leise, aber man muss damit trotzdem auf der Straße fahren. Da wird man als Lieferant von den Autofahrern noch schlechter wahrgenommen als ohnehin schon."