Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in München:Bunte Truppe

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In den 25 Münchner Bezirksausschüssen sind insgesamt 683 Mandate zu vergeben. Die Kandidaten spiegeln die vielfältige Münchner Stadtgesellschaft. Eine kleine Auswahl

Von Thomas Kronewiter, Ellen Draxel, Birgit Lotze, Sonja Niesmann, Stefan Mühleisen, Anita Naujokat und Hubert Grundner

Sie stehen nicht im Rampenlicht wie der Münchner Oberbürgermeister oder die 80 Stadträte mit ihren Amtsketten, sie müssen viel abfedern zwischen Bürgern und Verwaltung, sie moderieren Konflikte und vertreten die Interessen ihrer Viertel. Manchmal erreichen sie ihre Ziele, oft genug aber bleiben sie auch hängen im Geflecht zwischen übergeordneter Politik, Verwaltung, mächtigen Lobbyisten oder desinteressierten Ansprechpartnern. Dennoch ist der Andrang auf die insgesamt 683 Mandate in den Münchner Bezirksausschüssen ungebrochen. Nicht nur, dass insgesamt mehr Parteien und Gruppierungen denn je um die Gestaltungsmehrheit wetteifern. In den Bewerbern spiegelt sich auch die bunte Münchner Stadtgesellschaft wider - Alte und Junge, Männer wie Frauen, Prominente und Unbekannte, Menschen mit spannenden Tätigkeiten oder Ehrenämtern, aber auch Menschen wie du und ich - mit bürgerlichen Biografien und normalen Berufen, Lokführer, Baggerfahrer oder einfach Arbeiter.

Dass der ehemalige Münchner Stadtkämmerer Ernst Wolowicz (SPD, Berg am Laim) oder der eben pensionierte Chef des Wohnungsamtes, Rudolf Stummvoll (Grüne, Neuhausen-Nymphenburg) ihre Erfahrungen auch nach der aktiven Berufslaufbahn noch dem Gemeinwesen zur Verfügung stellen mögen, kann man sich noch gut vorstellen. Aber es kandidieren auch aktive Spitzenbeamte wie etwa Markthallen-Chef Boris Schwartz (Grüne, Aubing-Lochhausen-Langwied) oder der städtische Personalreferent Alexander Dietrich (CSU, Moosach), letzterer ist sogar jetzt stellvertretender Bezirksausschuss-Vorsitzender. Für die CSU Altstadt-Lehel will sich in Elke Fett, Sprecherin der Marktkaufleute vom Viktualienmarkt, auch eine recht bekannte Stimme stärker politisch einbringen - allerdings vom letzten Listenplatz aus.

Die drei ältesten Kandidaten stehen in den Neunzigern, Hans Kaufmann (Freie Wähler, Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln), hat als ältester Kandidat sogar das Geburtsjahr 1927 in der Liste stehen. Bei den Jüngsten kandidieren - jeweils mit Geburtsjahr 2002 - drei Schüler und eine Auszubildende. Bezirksausschuss-Mitglied Christl Feiler (Grüne, Schwabing-West), Puppenspielerin des "Theaters Trampelmuse", gehört längst zu den Wiederholungstätern, die Riege der künftigen Bezirksausschuss-Mitglieder könnte aber auch eine Bäckermeisterin mit Magister-Universitätsabschluss (Katharina Schiemenz, Freie Wähler, Sendling), eine Archäologin (Viktoria Räuchle, FDP, Sendling) oder einen Klavierstimmer (Henry Held, CSU, Trudering-Riem) aufführen. Mancher Kandidat ist auf bestenfalls mittleren oder hinteren Listenplätzen gereiht wie der Poetry-Slammer Darryl Kiermeier (SPD, Ramersdorf-Perlach, Platz 35) oder Dirigent Franz Brandl (Freie Wähler, Pasing-Obermenzing, Platz 29). Und mancher darf sich zumindest Hoffnungen machen wie die Art Directorin Dagmar Modrow (Die Linke, Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, Platz 1).

Der Kommissar

Rudi Knauss' Gesicht flimmerte schon in vielen Filmen und Serien über den Bildschirm. Im "Tatort" mimte er den Kommissar Tetzel, in "Sturm der Liebe" Kommissar Schuster. Er war bei der "Soko München" und bei den "Rosenheim-Cops" dabei und spielte im Film "Der Baader Meinhof Komplex" mit. Gelernt hat der in Gießen geborene Schauspieler sein Handwerk an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover, bevor es ihn 1991 nach München zog. Seitdem lebt er in Schwabing.

Geweckt wurde Knauss' politisches Interesse früh. Schon als 18-Jähriger war er mit der Friedensbewegung Aktion Sühnezeichen zwei Wochen in Auschwitz - das, sagt er, habe ihn geprägt. "Da fragt man sich, wie Menschen anderen so etwas antun können." Schon damals engagierte Knauss sich, demonstrierte gegen die NPD. Politisch orientierte er sich nach links, war "ein begeisterter Anhänger von Willy Brandt", schloss sich vor etwas mehr als zehn Jahren der Linken an, damals unter der Führung von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an. "Als linksradikal würde ich mich aber nicht bezeichnen", betont der Künstler. Veränderungen müssten "immer im Rahmen der Demokratie" erfolgen.

Politisch "so richtig aktiv" ist der Spitzenkandidat der Linken in Schwabing-West erst seit zwei Jahren - als Mieter-Aktivist. "Die Mietsituation in unseren Großstädten und besonders in München schreit ja zum Himmel." Knauss findet, dass sich "dringend was ändern" müsse. Die Kluft zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden dürfe nicht noch größer werden.

Der Pfarrer

Die Bilder, die einen in den vergangenen acht Jahren von Wolfgang Scheel erreichten, zeigten meist eine Idylle. Er arbeitete als Seelsorger in Mittenwald, im Sommer auch hoch oben bei den Bergkapellen im Freien. Er taufte Kinder am Lautersee, traute Paare auf der westlichen Karwendelspitze, auch viele gleichgeschlechtliche. Etwa ein Viertel seiner Arbeit galt den Urlaubern, der Urlauberseelsorge, wie das in der evangelischen Kirche heißt. "Nicht ganz so fromm, dafür lebensnah", so sah Wolfgang Scheel diesen Teil der Arbeit. Im Urlaub kämen viele Probleme hoch.

Seit Kurzem ist er im Ruhestand und zuhause an der Geyerstraße in der Isarvorstadt. Und es drängt ihn in die Politik. Er wolle in seiner letzten Lebensphase auch in die Praxis umsetzen, was er gepredigt habe: Lebensglück fördern und Leid verringern. Sich "dafür einsetzen, dass Homosexuelle, Transsexuelle, ja alle queeren Menschen voll wertgeschätzt werden und in der Gesellschaft angstfrei leben können." Dafür sei auch die Politik wichtig. "Es gibt noch genug zu tun - auch in München als liberaler Großstadt."

Wolfgang Scheel wird jedenfalls sehr geschätzt in der queer-bunten Isarvorstadt. Als Besucher im Bezirksausschuss machte er auf die Folgen der Gentrifizierung im Viertel aufmerksam: Seid wachsam, dort schließt das Schreibwarengeschäft, dort andere kleinen Läden, die Weideninseln werden zerstört. Wolfgang Scheel sitzt im Vorstand der Rosa Liste und kandidiert für den Stadtrat auf Listenplatz 3, für den Bezirksausschuss auf Platz 5.

Die Schülerin

Bei "Fridays for Future" ist Annika Pernes schon länger aktiv, nicht als festes Mitglied einer Arbeitsgruppe, aber auf so vielen Kundgebungen, wie es ihre Zeit erlaubt. Kommunalpolitik, eine bestimmte Partei hatte sie bisher nicht auf dem Schirm. Aber jetzt, wo ihre Mutter Stadtratskandidatin der ÖDP ist, hat sie gemerkt, "dass das schon interessant ist und die Ziele dieser Partei genau das sind, was mich bewegt". Also hat sich die Zwölftklässlerin an der Fachoberschule, die am 1. Januar 18 Jahre alt geworden ist, als parteifreie Bewerberin auf der ÖDP/DacG-Liste aufstellen lassen für den Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg. Sollte sie es von Platz 6 aus tatsächlich ins Gremium schaffen, "dann will ich mich engagieren und auch anstrengen". Zwar sei sie, gibt sie offen zu, politisch übers Viertel nicht wirklich gut informiert. "Aber ich weiß, was ich angehen will." Nämlich Klimaschutz, Artenschutz, Tierschutz - wichtig ist der 18-Jährigen "ein nachhaltiges Leben, das auf die anderen, natürlich auch andere Menschen achtet". Das sprudelt geradezu aus ihr heraus, mit dieser unverstellten Begeisterungsfähigkeit vieler junger Menschen, die herzerwärmend ist.

Der Lokführer

Gewöhnlich herrscht die Auffassung, der SPD seien ihre Wurzeln im Arbeitermilieu verloren gegangen, doch das scheint nur so - denn es gibt sie noch, die proletarisch sozialisierten Mitglieder, die "im klassischen Sozialprogramm der SPD" eine politische Heimat gefunden haben: Norbert Nirschl zum Beispiel, 43 Jahre alt, gelernter Lokführer und derzeit tätig in der Fahrzeug-Disposition der DB Regio in München. Er stellt sich für die SPD auf Platz vier im Bezirksausschuss Schwabing-Freimann zur Wahl. Seine Eltern hätten lange von Sozialhilfe leben müssen, berichtet der Freimanner, der in einer Wohnung der Eisenbahner-Baugenossenschaft lebt. Deshalb setze er sich für Chancengleichheit und Toleranz ein, was im Übrigen auch die LGBT-Community anbelangt: Nirschl ist Vorstandsmitglied der "SPD-Queer"-Arbeitsgemeinschaft im Landesverband Bayern, ferner ehrenamtlicher Schöffe am Landgericht München I.

Die Evaluiererin

Sabine Handschucks Name ist immer auch mit städtischen Institutionen verquickt gewesen. Schon vor 30 Jahren war sie die erste Wahl, nachdem der Stadtrat den Beschluss gefasst hatte, eine Stelle für eine Beauftragte oder einen Beauftragten für interkulturelle Arbeit auszuschreiben. Die Sozial- und Theaterpädagogin merkte damals schnell, wie harmonisches Zusammenleben entstehen kann: Netze aufbauen, mit Menschen ins Gespräch kommen, Organisationsformen fördern, Konzepte entwickeln. "Man muss strukturell arbeiten", habe sie bei ihrem ersten Job erkannt, sagt Sabine Handschuck. Damals sollte sie eine Fachbasis in Sendling aufbauen. Danach arbeitete sie viel für die Referate für Gesundheit und Umwelt und für Bildung und Sport. Da ging es um die Schulung von Mitarbeitern ganzer Abteilungen und von Referenten, es ging darum, Leitbilder zu entwickeln, Maßnahmen und Ziele vorzugeben. "Mein Lieblingsbetätigungsfeld ist eindeutig die Evaluation." Langjährige Praxiserfahrungen gemacht hat sie in der Jugendarbeit, Stadtteilarbeit, Theaterarbeit und in Jugend- und Erwachsenenbildung.

Sie unterrichtete an Hochschulen in Hamburg und München, hat sechs Fachbücher geschrieben. Ihr Credo: Man muss Vielfalt akzeptieren und als Ressource wahrnehmen. Interkulturelle Qualitätsentwicklung, so lautet der Name des Instituts, in dem die promovierte interkulturelle Pädagogin arbeitet - gemeinsam mit Gülseren Demirel, deren Platz allerdings leer bleibt, seitdem sie im Landtag sitzt, und Hubertus Schröer, der zuletzt 15 Jahre lang das Münchner Stadtjugendamt leitete. Sabine Handschuck, die bei den Grünen auf Platz 17 für den Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt kandidiert, gibt zu, dass es nicht ihr Traum sei, auch noch in der Stadtviertelpolitik zu arbeiten, sie habe lediglich die Liste aufgefüllt. Doch sie lebe sehr gerne in ihrem Stadtteil. Werde sie vorgehäufelt, dann wolle sie versuchen, die Nischen, die es in dem stark gentrifizierten Viertel noch gibt, zu erhalten. Und sie wolle die Autos zurückdrängen.

Der Senior

Henning Clewing will es noch einmal wissen. Mit Jahrgang 1930 ist er zwar nicht der älteste Bewerber, der bei den Bezirksausschusswahlen antritt. Er ist aber stadtweit der Älteste, der als Listenführer, nämlich auf Platz eins der FDP in Allach-Untermenzing, kandidiert. Der gebürtige Bremer, der im September 90 Jahre wird, lebt mit Unterbrechungen seit 1962 im Stadtbezirk. Bereits in den 1970er-Jahren war er im Gremium vertreten, seit nahezu 40 Jahren ununterbrochen. Sein berufliches Leben hat der studierte Volkswirt im Management von Anlagebaufirmen verbracht, die mit der alten Krauss-Maffei AG zu tun hatten. "Aber nie für Panzer und Lokomotiven, sondern für Verfahrens- und Kunststoffanlagentechnik", betont er. Warum er noch einmal ins Gremium will? "Weil es mir Spaß macht", sagt der verwitwete Vater dreier Söhne, der auch als Organist in der Epiphanias- und Bethlehemskirche aushilft. "Es gefällt mir, wenn man in der Politik etwas bewirken kann, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind", sagt er. "In der großen Politik kann doch keiner von uns was machen."

Der Magier

Es müsste schon Magie im Spiel sein, sollte es Craig Odell in den Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach schaffen: Der gebürtige Brite aus Stoke-on-Trent tritt für die SPD auf Listenplatz 38 an. Aktuell besetzen die Sozialdemokraten 17 der 45 Plätze in dem Gremium. Seine Chancen schätzt Odell deshalb selbst als "nicht so gut" ein. Seiner Lust darauf, sich in die Politik einzumischen, hat das aber keinen Abbruch getan. Beispielsweise würde sich der 40-Jährige gerne dafür einsetzen, in Ramersdorf ein für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils offenes Kulturzentrum einzurichten.

Odell, der 2009 nach München kam, besitzt seit Kurzem auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Er reagierte damit auf den Brexit in seiner Heimat. Auch wenn er kein Nationalist sei, sei ihm dieser Schritt nicht leichtgefallen, gesteht er. Inzwischen aber habe er das Gefühl, nichts verloren, sondern etwas gewonnen zu haben. Verheiratet ist er mit Lena Odell, die sich ebenfalls für die SPD auf Platz acht der Wahlliste um ein Mandat bewirbt - allerdings für den Stadtrat, worauf ihr Mann sehr stolz ist. Gemeinsam mit ihren zwei Buben, fünf Jahre beziehungsweise 20 Monate alt, wohnen sie in der Claudius-Keller-Straße. Sein Geld verdient Craig Odell als Angestellter einer Patentanwaltskanzlei - aber auch mit Auftritten als Zauberer namens Mistero. Ob er auch Tricks auf Lager hat, die mit einer Wahlurne funktionieren?

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Quelle:
SZ vom 12.03.2020
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