Süddeutsche Zeitung

Klage nach Fehldiagnose:Trotz Todesangst kein Schmerzensgeld

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Von Ekkehard Müller-Jentsch

Was für ein schreckliches Missverständnis: Eine damals 30-jährige Frau aus der Nähe von Rosenheim glaubte nach der Untersuchung in einem Münchner Uni-Krankenhaus, binnen sechs Monaten an Krebs sterben zu müssen. Offenbar hatte sie die Ärzte, die auf das seltene Krankheitsbild ihrer Patientin mit einer medizinischen Großoffensive reagieren wollten, missverstanden. Nun hat die Frau das Klinikum auf Schmerzensgeld verklagt. 25 000 Euro verlangt sie als Ausgleich für "extremen Belastungen und psychischen Beeinträchtigungen." Da mehrere vom Gericht zu dem Prozess bestellte Sachverständige jedoch keine relevanten Fehler ihrer Münchner Kollegen erkennen konnten, hat die Arzthaftungskammer am Landgericht München I die Klage jetzt abgewiesen.

Ein örtlicher Orthopäde hatte die Frau in die neurochirurgische Klinik nach München geschickt. Dort wurde ein innerhalb der Rückenmarkshaut liegender Tumor diagnostiziert. Und dazu eine "Abtropfmetastase", die über die Körperflüssigkeit auf Kreuzbeinwirbel gespült worden war. Zudem gingen die Münchner Ärzte von einer "metastösen Aussaat" im gesamten spinalen Bereich der Halswirbelsäule aus - das könne man zwar nicht operieren, aber erfolgreich bestrahlen, meinten sie.

Bestrahlung des gesamten Schädelbereiches

Die Experten rieten der Patientin vorsorglich gleich zur Bestrahlung des gesamten Schädelbereiches. Vorsichtshalber zogen sie noch einen Strahlentherapeuten aus Leipzig bei. Zugleich rieten sie der Frau, die einen Kinderwunsch äußerte, vorsorglich Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen, da sie durch die Bestrahlung unfruchtbar werden könne.

In Todesangst wechselte die Frau an ein Bonner Klinikum, wo der Tumor in einem vergleichsweise kleinen Eingriff entfernt wurde. Kinder hat die heute 36-Jährige inzwischen auf natürlichem Wege zur Welt gebracht. Sie wirft den Münchner Ärzten vor, durch verfrühte Untersuchungen eine schwere Fehldiagnose getroffen und ihr auf diesem Wege ein "erschreckendes Szenario" vermittelt zu haben.

Vor Gericht stellte nun die Sachverständigen fest, dass die Münchner Ärzte Befunde in einigen Bereichen zwar tatsächlich falsch interpretiert hätten. Dennoch sei ihre damalige Therapieempfehlung nicht fehlerhaft gewesen. Die Experten bestätigten, dass angesichts der Metastasen die weitflächige Bestrahlung trotz allem richtig gewesen wäre - sie wunderten sich eher über ihre Bonner Kollegen, die nur punktuell bestahlt hatten. Die Handlungsweise der Münchner spreche angesichts der seltenen Konstellation eher für die sorgfältige Vorgehensweise. Das Gericht sprach von einer "glücklichen Entwicklung", dass trotz der eher spartanischen Behandlung in Bonn alles gut gegangen sei. Es wies die Klage ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2015
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