Süddeutsche Zeitung

Junge Kunst:"Das hat schon fast etwas Therapeutisches"

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Künstlerin und gleichzeitig ihr eigenes Aktmodel: Sophie Kuhn, 21, malt Selbstporträts - auch auf Duschvorhänge, die sie dann in ihr eigenes Badezimmer hängt

Von Tabitha Nagy, München

Sophie Kuhn, 21, steht in ihrem Badezimmer. Hinter ihr sieht man eine etwa zwei Meter große Figur - gemalt auf einem Duschvorhang. Die Malerei der Münchnerin ist dynamisch, bunt. Sie zeigt nackte weibliche Körper. Bei den Frauen handelt es sich um Selbstporträts. Sagt zumindest Sophie. Oft sind sie überlebensgroß dargestellt, immer sind sie emotional geladen und in kräftigen Farben gehalten. Bei Ausstellungen werden die losen Leinwände an die Wand genagelt, oder sie liegen auf Tischen oder auf dem Boden drapiert im Raum. Einige der Bilder wurden entlang der Konturen der dargestellten Figuren ausgeschnitten. Gebrauchsgegenstände, wie Duschvorhänge, nutzt Sophie ebenfalls als Bildträger für die Akte.

Sophie verwendet ihre Malereien auch in Performances. "Es wird oft angenommen, dass bei Performance alles gespielt werde, aber das muss nicht so sein", sagt sie. Als bei der "Charming Anti-Auktion" im November, einer von Studierenden der Akademie der Bildenden Künste München organisierten Veranstaltung zur Auktion des Akademievereins, ihre eingereichte Arbeit nicht verkauft wurde, entschloss sie sich, eine "Heul-Performance" aufzuführen. Sie weinte. Sie drapierte einen der bemalten Duschvorhänge über ihrem Kopf. Und sie führte einen Monolog auf über den inneren Konflikt beim Verkauf der eigenen Bilder, über das Gefühl der fehlenden Wertschätzung und das ständige Bemühen und Zweifeln am eigenen Schaffen. Währenddessen gingen die Anwesenden ihren Gesprächen nach. Am Ende wurde geklatscht. Die zur Schau gestellten Gefühle seien echt gewesen, erzählte sie hinterher. Doch es sei nicht ein spontaner Ausbruch gewesen. Sophie stellte sich ganz bewusst vor das Publikum, um die individuellen Vorgänge zu zeigen, die sich in vielen Kunstschaffenden abspielen, wenn sie sich der Öffentlichkeit stellen.

Ihre Malerei sei sehr intim, ein Teil von ihr, sagt Sophie. Sie sieht sie als "performative Objekte": In Ausstellungen dürfen die Besucher ihre Werke berühren. Sogar draufsetzen dürfe man sich. "Mit dem Ausstellen ist das Potenzial verbunden, dass die betrachtende Person mit der Kunst interagieren kann", erläutert Sophie. Aufzwingen wolle sie dies aber nie. "Ich öffne mich durch diese Arbeiten und mache mich verletzlich, indem ich sie zeige und die Interaktion erlaube", sagt Sophie. Die Aufforderung, behutsam mit den Werken umzugehen, sei dadurch und auch durch die Präsentation in einem Ausstellungskontext implizit. "Ich will, dass durch meine Kunst eine empathische Konversation aufgebaut wird", sagt sie. Empathie würde im Alltag oft verloren gehen. Mit ihren intimen Malereien wolle sie die Menschen dazu bringen, sich einzufühlen. Die Betrachtenden können sich emotional auf sie einlassen und in direkter Reaktion dazu mit ihnen interagieren. In ihren Arbeiten will sie ihnen ehrlich gegenübertreten.

"Kunst hat dieses Potenzial, dass jeder etwas anderes in ihr sehen kann und immer andere Gefühle geweckt werden können", sagt Sophie. Doch dazu müsse sie zuerst das Risiko eingehen, ihr Inneres zu zeigen und darauf vertrauen, dass die Betrachtenden ihrer Kunst mit Respekt begegnen und sich öffnen. "Das hat schon fast etwas Therapeutisches", merkt sie an.

Das klappe allerdings nicht immer. "Meine Arbeiten werden von einigen als eine Art von feministischer Propaganda gesehen und dann darauf reduziert. Einfach nur, weil nackte Frauen zu sehen sind und ich ebenfalls eine Frau bin", sagt sie. Ihre Malereien seien zwar feministisch, das sei aber nicht ihr Fokus. "Vielleicht nehmen manche es so wahr, aber diese Darstellungsweise ist für mich ganz normal", sagt Sophie.

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Quelle:
SZ vom 30.12.2019
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