Süddeutsche Zeitung

Innovatives Projekt:Das Café Cup schafft Zugang zur digitalen Welt

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In der Coffee-Lounge, die unter anderem vom Münchner Jobcenter initiiert wurde, finden auch absolute Internet-Neulinge schnell Anschluss.

Von Sven Loerzer

Über der stilisierten Kaffeetasse hängt kein Dampf, sondern das Wlan-Logo. Cup heißt die Coffee-Lounge, die vor einem Jahr in der Orleansstraße 2 eröffnet hat. Drinnen ist es hell und modern, an der Theke gibt es Kaffee und Gebäck kostenlos. Ein Internet-Café der etwas anderen Art? "Cup - Dein Weg in die digitale Welt" steht auf den Schaufenstern, und wer sich dort umschaut, wird kaum auf die Idee kommen, dass dahinter das Jobcenter in Zusammenarbeit mit dem großen Bildungsträger Deutsche Angestellten-Akademie (DAA) steckt. In ungezwungener und gar nicht behördentypischer Atmosphäre lässt sich der Zugang zur digitalen Welt dort leicht finden.

Gerade die Zeit der Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, davon nicht ausgeschlossen zu bleiben. Ob Distanzunterricht oder Home-Office - dafür sind nicht nur internetfähige Endgeräte wichtig, man muss diese auch bedienen können. Doch vielen Bezieherinnen und Beziehern von Bürgergeld fehle es an digitalen Kenntnissen, sagt Anne Konzack, beim Jobcenter verantwortlich für das Innovationsprojekt Cup. Die Idee zum Digitalisierungscafé entstand in gemeinsamen Runden mit Arbeitgebern und den Kammern, die Projektausschreibung gewann schließlich die DAA.

Während der Pandemie "liefen viele Menschen Gefahr, noch weiter abgehängt zu werden", weil sie keinen Zugang zur digitalen Welt hatten, sagt Susanne Grandt, DAA-Bereichsleiterin und Cup-Leiterin. "Um andocken zu können, ohne stigmatisiert zu werden", sei das Beratungscafé bewusst niedrigschwellig gehalten. Wer dorthin kommt, soll sich trauen können, alles zu fragen, niemand muss sich schämen, wenn er nicht weiß, wo der PC eingeschaltet wird. Ein Kunde des Jobcenters muss man nicht sein, um das Angebot von Cup wahrnehmen zu können, das Café ist offen für alle Münchnerinnen und Münchner.

Sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen, werde immer wichtiger. "In vielen Bedarfsgemeinschaften existiert nur ein Handy, das wird dann dem Kind gegeben, damit es nicht zum Außenseiter wird in der Schule", berichtet Susanne Grandt. Wer nie einen PC bedient habe, der habe keinen Zugang zum in der Regel preisgünstigeren Online-Banking und kann auch nicht die Info-Briefe der Schule erhalten, die meist per Mail verschickt werden. "Wenn ich nicht weiß, dass ich auch mit dem Handy Zugang zu einem E-Mail-Postfach haben kann, werde ich abgehängt." Auch Arzttermine sind immer häufiger online buchbar. Immer wichtiger werden digitale Kenntnisse auch für Berufe, die nicht mit Computern assoziiert werden. So seien Job-Bewerbungen oft nur noch über Online-Plattformen möglich, sagt Anne Konzack. Und auch Einsätze des Reinigungsdiensts würden nun häufig digital vereinbart.

Zwischen 900 und 1000 Besucher kommen jeden Monat ins Cup, rund 80 Prozent von ihnen haben relativ geringe digitale Kenntnisse. Die Altersverteilung sei ziemlich gleichmäßig zwischen 20 und 65 Jahren, berichtet Susanne Grandt. Kunden des Jobcenters können sich freiwillig anmelden, dann bekommen sie einen eigenen Coach und Berater und auch ein Leihgerät zur Teilnahme. Vier Mal täglich gibt es unterschiedliche Workshops von jeweils 1,5 Stunden in den Projekträumen im ersten Stock über dem Café. "Wir können zu allen anderen Qualifizierungen des Jobcenters weiterleiten", sagt Susanne Grandt, "und Kunden, die über gute digitale Kenntnisse verfügen, Qualifizierungen anbieten, die in neue digitale Berufe hineinführen". Im ersten Stock gibt es auch Einzelarbeitsräume, etwa für die Teilnahme an Online-Schulungen, und einen Besprechungsraum mit Kinderspielecke.

"Ich komme gern hierher", sagt Ali Ahmadi (Name geändert). Er gehört zu den Ortskräften, die aus Afghanistan flüchten konnten, als die Taliban das Land übernahmen. "Die Leute, die mir geholfen haben, sind schon alle tot." Völlig durcheinander sei er beim Jobcenter gelandet, seine Betreuerin dort schickte ihn ins Cup. Seit acht Monaten gehe er dorthin, viel habe er dort gelernt: "Ich weiß, wie man ein professionelles E-Mail schreibt, wie ich mich am besten bewerben und wie ich Termine vereinbaren kann." Sehr froh sei er, dass er jetzt ein Smartphone besitze, das wie ein Laptop funktioniere. Und er hofft, dass er den Busführerschein machen kann. "Busfahren ist meine Leidenschaft. Mein Traumjob ist bei der MVG."

"Man kann mit allen Fragen hier einlaufen", sagt Susanne Grandt. Ob Hilfe bei der Installation einer App, bei der Antragstellung für eine Sozialwohnung oder beim Kitafinder: "Der stellt viele Menschen vor Herausforderungen." Die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Cup wollen ihren Kunden "Sicherheit geben im Umgang mit Online-Anträgen". So lässt sich auch der Antrag auf Bürgergeld digital stellen. Und statt dem Jobcenter eine unverschlüsselte E-Mail zu schicken, sei es besser, "die sichere Plattform des Jobcenters zu nutzen", betont Anna Konzack.

"Das Digitale ist meine große Baustelle", erzählt ein anderer Besucher, der aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf als Friseur nicht mehr ausüben kann und deshalb vor Corona als Schulbegleiter tätig war. Mit den Schulschließungen während der Pandemie sei er dann "ins Loch hineingeplumpst". Sein Dozent im Cup habe ihn "sehr aufgefangen". Das "Fachenglisch" der digitalen Welt sei "Chinesisch für mich", aber in den Workshops habe er viel gelernt. Derzeit macht er sich fit für Büroarbeit, gerade hat er gelernt, Serienbriefe zu erstellen. "Es macht Spaß, wenn man wieder Anschluss kriegt." In der Digitalwerkstatt stehen sogar ein 3D-Drucker und eine VR-Brille zur Verfügung, um das Interesse an neuester Technik zu wecken und Einsatzgebiete aufzuzeigen. "Wenn man nicht weiß, was es gibt, weiß man auch nicht, was man noch lernen kann", erklärt Anna Konzack. Einmal im Monat gibt es einen Vortrag, etwa zum Thema "Drohnen - Berufsfeld mit Perspektive oder Spielzeug?". Drohnen spielen inzwischen in vielen Berufen eine Rolle, etwa für Immobilienmakler, Gärtner oder Dachdecker.

Ein freiberuflicher Dozent, der lange Jahre für die Ausbildung von Betriebswirten zuständig war, "bis man mir vor einem Jahr sagte, man brauche mich nicht mehr", fand im Cup die nötige Unterstützung. "Meine Bewerbungsgespräche habe ich über Zoom geführt, ich habe das hier üben können und gelernt, wie benehme ich mich vor der Kamera, welchen Hintergrund stelle ich ein." Natürlich keinen Südseestrand, sagt er lachend. Er unterrichtet nun wieder - selbstverständlich auch in digitaler Form.

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