Süddeutsche Zeitung

Jahresempfang:Die Protestanten wollen fair und fröhlich streiten

Es ist ein festlicher Abend, etwa 300 geladene Gäste sind in den Saal des Alten Rathauses gekommen, zwei Musiker spielen Flügel und Sopransaxofon, die Stimmung ist friedlich, aber Johanna Haberer will den Streit. Der "fröhliche und faire und informierte" Konflikt gehöre zum Frieden in einer Gesellschaft dazu, sagt sie, und die Reformation könne dafür Vorbild sein. Es ist Mittwoch, das evangelische Stadtdekanat hat im Zeichen des 500. Reformationsjubiläums zum Jahresempfang geladen. Bürgermeister Josef Schmid (CSU) hat gerade betont, das heutige München sei ohne die Reformation gar nicht denkbar und er sei lieber zum Empfang der Kirche gegangen als zum Antrittsbesuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur gleichen Zeit nebenan im Neuen Rathaus. Und Haberer, Professorin für Christliche Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, hält ein flammendes Plädoyer für den Streit.

Aber die Reformation ein Vorbild? Mit ihr habe vor 500 Jahren eine neue Debattenkultur begonnen, sagt sie, vergleichbar mit der Erfindung des Internets. Die römische Kirche habe die Deutungshoheit verloren, Leute aus dem Volk hätten das Wort ergreifen können. "Fakes und Hates hat es auch in Hülle und Fülle gegeben", sagt Haberer. Und doch: Offen und konstruktiv zu diskutieren, das sei Ausweis einer "reformatorischen Streitkultur". Sie bekommt langen, sehr freundlichen Applaus.

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SZ vom 28.04.2017 / wet
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