Süddeutsche Zeitung

Isarvorstadt:Wenn die Angst nagt

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Während der Baumschutz-Sprechstunde des Bundes Naturschutz klingelt das Telefon pausenlos. Immer mehr Bürger sorgen sich um die grüne Lunge der Stadt - nicht nur wegen der Biber im Pasinger Stadtpark

Von Sarah Obertreis, Isarvorstadt

Auch wenn Angela Burkhardt-Keller an diesem Tag keine Sprechstunde hat - das Telefon steht trotzdem nicht still: "Wenn man versucht, mich während der offiziellen Zeiten zu erreichen, hören viele Anrufer nur das Besetztzeichen. Deswegen probieren sie es eben auch mal an den anderen Tagen." Die Forstwirtin ist Baumschutzberaterin des Bundes Naturschutz (BN) und damit Anlaufstelle für ums Grün besorgte Bürger. Wenn alten Eichen die Kettensäge droht, Biber an Parkbeständen knabbern oder die Nachbarn verdächtig viel an den Fichten herumschnippeln, wird Angela Burkhardt-Keller zu Hilfe gerufen. Die Münchnerin agiert dann nicht nur als Umweltschützerin, denn: Seitdem der BN vor zwei Jahren die Baumschutz-Sprechstunde ins Leben gerufen hat, versucht sie auch Nachbarschaftsfehden zu schlichten, Antworten auf Rechtsfragen zu finden und zwischen Behörden und Bürgern zu vermitteln.

Schon wieder klingelt ihr Telefon. Am anderen Ende der Leitung hält ein höflicher Herr einen sorgfältig dokumentierten Fragenkatalog bereit. "Generell finden für mich als Laie an ganzen Straßenzügen oft Maßnahmen statt, die den Bäumen zu schaden scheinen", doziert er in akkuratem Ton. Als Burkhardt-Keller ihn nach konkreten Beispielen fragt, liest er eine Liste mit seiner Ansicht nach betroffenen Alleen vor. Auf ihren Ratschlag allerdings, bei der Unteren Naturschutzbehörde nach den jeweiligen Genehmigungen zu fragen, reagiert er zögerlich.

"Die Bevölkerung fürchtet den Behördendschungel", kommentiert die Baumschutzberaterin aus Erfahrung das Zaudern des Anrufers, "wir dagegen haben uns über Jahre einen sehr guten Ruf und hohe Glaubwürdigkeit erarbeitet." Eigentlich konzentriert sich die Untere Naturschutzbehörde der Stadt München in ihrem Servicezentrum auf baurechtliche Fragen. "Aber natürlich kann man sich bei Fragen zu Arten-und Naturschutz auch jederzeit an uns wenden", stellt Thorsten Vogel, Sprecher des übergeordneten Planungsreferates, fest.

Für Fragen des Artenschutzes ist beim BN Tina Theml zuständig. Sie leitet die Umweltberatungssprechstunde - auch ihr Telefon läutet fast pausenlos. Zusammen mit ihrer Kollegin Burkhardt-Keller nimmt sie im Schnitt 129 Anrufe pro Tag entgegen, zahlreiche weitere Anfragen erreichen die beiden per E-Mail. Gerade schreibt Theml einer Münchnerin, die Weidenzweige in ihrem Garten schneiden wollte. "Tatsächlich ist es besser, eigens gezüchtete Zweige auf dem Viktualienmarkt zu kaufen, denn die Weidenkätzchen sind wichtige Frühlingsnahrung für die ersten Wildbienen und Zitronenfalter", erklärt die Umweltberaterin in ihrer Antwort, bevor sie den nächsten Anruf entgegennimmt. "Ich würde gerne bei einer Krötenschutzaktion mithelfen, allerdings könnte ich nur abends", meldet sich ein Ramersdorfer und wird von der Umweltberaterin mit entsprechenden Terminen versorgt. Auch bei Tina Theml melden sich zahlreiche Berufstätige, die den ganzen Tag am Schreibtisch verbringen und anschließend zum Ausgleich und mit Vergnügen Eimer voller Kröten durch den Wald tragen wollen. "Bei den Schutzaktionen ist es meistens kalt, dunkel und schlammig, aber die Leute lieben es", erzählt die Umweltberaterin.

"Allgemein ist das Interesse an der Natur gestiegen, besonders der Klimawandel ist ein großes Thema unter den Münchnern", stellt sie zufrieden fest. Ihre Kollegin pflichtet ihr bei: "Die Menschen sehen die Bäume als grüne Lunge der Stadt und sind geradezu enttäuscht, wenn ich mich nicht aus Protest gegen eine Fällung an den Baum ketten will, sondern ihnen erkläre, dass es nicht immer schlimm ist, wenn eine Buche oder eine Fichte aus dem Park verschwindet."

Schon wieder wird Angela Burkhardt-Keller vom Klingeln des Telefons unterbrochen, es meldet sich ein Mitglied des Pasinger Bezirksausschusses. "Bei mir rufen aufgeregte Spaziergänger an - sie müssen den Leuten klarmachen, dass die Biber dem Pasinger Stadtpark nicht schaden", fordert der Lokalpolitiker, "die Tiere fällen ja nicht jeden einzelnen Baum." Der Biber gehört zu den umstrittensten Bewohnern der Isar, selbsternannte Baumschützer und andere wollen den Nager verschwunden wissen. Auch der Bürger, über den Burkhardt-Kellers Anrufer wettert, ist der Meinung, dass dem Pasinger Stadtpark des Bibers wegen das Ende droht.

Dabei hat sich das größte Nagetier Europas erst vor wenigen Jahren wieder eingelebt; mehr als 150 Jahre waren Biber in Deutschland nahezu ausgerottet. Nur an der Elbe hatte eine winzige Population überlebt, die restlichen Artgenossen waren Felljägern zum Opfer gefallen - und selbst auf den Tellern fanden sich die Tiere wieder. Kaum zu glauben: Im Mittelalter hatte eine päpstliche Verordnung den Biber wegen seines schuppigen Schwanzes zum Fisch erklärt und ihn damit zu einer beliebten Fastenspeise werden lassen.

1966 wilderte der Bund Naturschutz wieder einige Tiere an der Donau aus, 50 Jahre später haben sich die Tiere bis in den Pasinger Stadtpark ausgebreitet. Denn München bietet tatsächlich ideale Lebensbedingungen, es gibt viele Weiden und Pappeln, eine Leibspeise des Nagetiers. "Außerdem müssen die Biber an den Münchner Flussläufen keine Staudämme bauen, die die umliegenden Gebiete überschwemmen könnten, da der Wasserstand an Isar und Würm ohnehin meistens gleichmäßig hoch ist", erklärt Burkhardt-Keller nun schon dem nächsten Anrufer.

Gefährdete Bäume im Pasinger Stadtpark beispielsweise werden durch sogenannte Drahthosen geschützt, damit sie den scharfen Zähnen nicht zum Opfer fallen. Durch ihre geduldigen Beratungsgespräche hat Burkhardt-Keller schon zahlreiche Bibergegner wieder milde stimmen können. "Das Wissen um die Lebensweise der Tiere erhöht die Akzeptanz", freut sich die Baumschutzberaterin und erntet Zustimmung von ihrer Kollegin Theml: "Die Menschen können nur umweltbewusst handeln, wenn sie ausreichend informiert sind." Bei rund 32 000 Anfragen pro Jahr werden Theml und Burkhardt-Keller noch einige Sprechstunden leisten müssen.

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Quelle:
SZ vom 30.03.2016
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