Süddeutsche Zeitung

Isarvorstadt:Fremde Welt unterm Christbaum

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Migrantinnen aus Tunesien wie Zina Boughrara berichten im Bellevue di Monaco über ihr erstes Weihnachten

Von Ilona Gerdom, Isarvorstadt

Auf den Tischen im Bellevue di Monaco stehen Gläser mit Tannenzweigen. Sonst ist Anfang Dezember nicht viel von Weihnachten zu sehen. Am kommenden Sonntag wird das anders sein. Dann werden hier Sterne leuchten, und die Veranstaltung "Mein erstes Weihnachten in Deutschland" in adventliches Licht tauchen. Migrantinnen aus Tunesien werden ihre Geschichte erzählen. 50 Jahre ist es her, dass die ersten von ihnen, damals größtenteils Frauen, nach Deutschland kamen. Dieses Jubiläum sollte nicht einfach so verstreichen, fand Zina Boughrara, sie hat die Veranstaltung organisiert.

Noch viel ist bis dahin zu tun. Die gebürtige Tunesierin sitzt im Bellevue di Monaco, die 48-Jährige ist eine eindrucksvolle Erscheinung: lange Locken, eine Löwenmähne. Und wer diese Frau kennenlernt, hat bald den Eindruck, sie sei ebenso stark wie eine Löwin. An ihr erstes Weihnachten in Deutschland erinnert sie sich noch gut. Im Winter 1993, sie war gerade für ein Auslandssemester in Heidelberg, lud die Familie von nebenan sie ein, mit ihr Heiligabend zu verbringen. "Das war für mich eine ganz fremde Welt", sagt Boughrara. "Es waren so viele Infos auf einmal. Das Essen, der Gang zur Kirche, der Weihnachtsbaum, die Geschenke - einfach ein Abenteuer." Im nächsten Jahr kehrt Boughrara zurück nach Tunesien, um dort ihr Germanistik-Studium abzuschließen. Doch es fällt ihr schwer, wieder in ihrem Heimatland anzukommen. Heute sagt Boughrara, sie habe damals gedacht: "Ich möchte diese Lebensreise, die ich begonnen habe, nicht einfach abbrechen, sondern gerne fortsetzen." Im Jahr 2000 entschließt sie sich nach Deutschland zu gehen. Diesmal um zu bleiben.

Sie nahm, wie die tunesischen Frauen, die 1969 nach Deutschland kamen, all ihren Mut zusammen und ging alleine fort. Dadurch fühlt sie sich verbunden mit den Gastarbeiterinnen, die lange vor ihr kamen. Doch sie sagt auch, dass es die Frauen damals schwerer gehabt hätten, weil sie die Sprache noch nicht konnten. Boughrara dagegen hat schon in der Schule Deutsch gelernt. Ein Germanistik-Studium in Tunis zu beginnen, war zunächst nicht geplant. Denn eigentlich wollte die 48-Jährige Grundschullehrerin werden. Da hätte sie ihr Heimatdorf nicht verlassen müssen. Denn sie wollte bleiben, um ihre Mutter und ihre drei Geschwister zu unterstützen. Aber nach der Trennung der Eltern sei es schwierig gewesen. Als alleinerziehende Mutter habe man es in Tunesien nicht leicht gehabt. Heute ist Boughrara froh, dass sie das Germanistik-Studium gemacht hat. Als sie hierher gekommen sei, habe sie damit schon ein Stück Deutschland dabeigehabt, erinnert sie sich. Wenn Boughrara spricht, unterstreicht sie Themen, die ihr wichtig sind oft mit Gesten. Ihr Tonfall ist dabei energisch. Man merkt, dass sie genau weiß, was sie will. Das kann sie nicht nur in Deutsch und ihrer Muttersprache Arabisch ausdrücken, sondern auch auf Türkisch, Französisch und Russisch. Sogar Farsi hat sie sich selbst beigebracht. Viele Sprachen zu beherrschen, hilft ihr auch in beruflicher Hinsicht. Im Konsulat der Republik Tunesien in München arbeitete sie im Beratungsdienst, später betreute sie minderjährige Geflüchtete, seit 2010 berät sie ältere Menschen mit Migrationshintergrund im Alten-und-Service-Zentrum Haidhausen.

Warum sie sich so engagiere? Sie sei in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Jeder habe jeden gekannt, man habe einander immer geholfen. Außerdem sagt sie, dass es in Deutschland durch Vereine und Ehrenamt gute Strukturen gebe, um sich einzubringen. Sie sagt: "Hier kann ich viel geben." Etwas geben will sie auch mit der vom Kulturreferat geförderten Veranstaltung im Bellevue di Monaco. Mit "Mein erstes Weihnachten in Deutschland" will Zina Boughrara Raum geben, Lebensgeschichten zu erzählen und kulturellen Austausch anregen. Vor allem soll es darum gehen "in dieser schönen Adventszeit Freude miteinander zu teilen".

"Mein erstes Weihnachten in Deutschland", Sonntag, 8. Dezember, im Bellevue di Monaco, Müllerstraße 1-6, von 15 bis 18.30 Uhr. Es wird unter anderem Lesungen aus dem Koran und der Bibel, arabische Musik und tunesisches Essen geben.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019
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