Süddeutsche Zeitung

Insolvenzverwalter von Müller-Brot:Sein bislang schwierigster Fall

Lesezeit: 4 min

Wohltaten kann er nicht herbeizaubern, dafür eine Strategie: Hubert Ampferl muss als Insolvenzverwalter vermitteln wie ein Psychologe. Nun soll er die Großbäckerei Müller-Brot retten - es ist nicht der erste Betrieb, in dem er neben wirtschaftlichen Problemen auch gegen hygienische ankämpft.

Katja Riedel

Diesen Text dürfte es eigentlich gar nicht geben. Jedenfalls nicht, wenn es nach demjenigen ginge, von dem er handeln soll: Hubert Ampferl, vorläufiger Insolvenzverwalter der Großbäckerei Müller-Brot in Neufahrn. Ampferl fürchtet, es könne dem Unternehmen eher schaden als nützen, wenn seine Person zu sehr in den Mittelpunkt rücke, sagt er.

Im Mittelpunkt steht er aber ohnehin - seit dem 16. Februar, an dem er zum ersten Mal durch die Pforte an der Neufahrner Ludwig-Erhard-Straße getreten ist, auf den Fabrikhof und hinter jene Mauern, über die Zeitungen, Radio und Fernsehen noch immer fast täglich berichten. Auch Ampferl hatte den Fall Müller-Brot zuvor verfolgt, und dass der Hygieneskandal in die Insolvenz führen könnte, habe er schnell befürchtet, sagt er. Dass er selbst es sein würde, der nun für die Gläubiger retten soll, was noch zu retten ist, damit habe er damals nicht gerechnet.

Für Hubert Ampferl und seine Familie sind mit dem Anruf des Landshuter Insolvenzgerichts wieder Zeiten angebrochen, in denen er seine Frau und die neunjährige Tochter selten, seine Mitarbeiter und den Schreibtisch in der Münchner Kanzlei Dr. Beck und Partner dafür sehr oft sieht. "Wenn ein vorläufiges Insolvenzverfahren läuft, dann gibt es für mich nichts anderes mehr", sagt Ampferl. Es klingt entschuldigend.

Die Reisekataloge für Skihotels in Südtirol haben die Ampferls in diesem Moment gleich zur Seite gelegt. Irgendwann, wenn der Fall Müller-Brot für Ampferl zu den Akten gehört, werden sie wohl auf einem Bauernhof Urlaub machen.

Bis zum 1. April, dem Ende des vorläufigen und dem Beginn des eigentlichen Insolvenzverfahrens, taucht er aus dem Familienleben ab. Er lebt in den Büchern der Firma und in Verhandlungen. Er spricht mit jenen, denen Müller-Brot insgesamt mehrere zehn Millionen Euro schuldig geblieben ist. Mit anderen, die dafür verantwortlich sind. Und mit jenen, die dem Unternehmen eine Zukunft bieten könnten: mit möglichen Investoren.

Gerade einmal 43 Jahre ist Hubert Ampferl alt. Es ist bei weitem nicht sein erster, aber wohl mit weitem Abstand schwierigster Fall. Er muss besonders sensibel agieren - auch, weil die Öffentlichkeit jeden Schritt bei Müller-Brot verfolgt. Zudem hat alles, was Ampferl entscheidet, Folgen für knapp 1300 Mitarbeiter und 151 Pächter von Filialen.

Fünf Abteilungsversammlungen und zwei Pächtertreffen hat Ampferl in seinen ersten 76 Stunden bei Müller-Brot abgehalten. Hat ein neues Hygienekonzept aufgesetzt und mit Behörden und Banken verhandelt. Ampferl ist einer, den man nicht übersieht. Wenn er einen Raum betritt, wenden sich ihm die Köpfe zu. Nicht viele würden den smarten Mann im feinen Nadelstreifenanzug für einen Juristen halten; seinem Äußeren nach würde man einen wie Ampferl eher auf einem Roten Teppich verorten.

Doch obwohl er aussieht wie ein Hollywoodschauspieler, bleibt er authentisch, ungekünstelt. So auch an jenem Samstagmorgen, dem Samstag nach der Müller-Brot-Pleite, im Festsaal eines Gasthofes in Massenhausen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem Ampferl balanciert. Er muss den Pächtern bittere Nachrichten überbringen, Nachrichten, die ihnen den Boden unter den Füßen wegziehen. Ampferl spricht in ruhigem Tonfall, doch ohne Schönfärbereien. Er muss sie auf das vorbereiten, was auf sie zukommt, darf sie aber nicht soweit demotivieren, dass sie alles hinwerfen.

Ampferl ist kein Arbeitnehmer- und kein Pächtervertreter, er vertritt die Interessen der Gläubiger. Seine Aufgabe ist es nicht, Arbeitsplätze zu retten, sondern das Unternehmen und dessen Werte zu bewahren. Ein solcher Wert ist auch das Filialnetz von Müller-Brot. "Eines steht jetzt schon fest, der Insolvenzverwalter ist ein guter Mann", sagt ein Pächter noch während der Veranstaltung. Am Ende wird Ampferl in die Zukunft der Pächter investieren, ihnen Zahlungen erlassen. Banken dazu bringen, weiter zu investieren, um die Chance zu wahren, dass sie überhaupt noch einen Cent zurückbekommen.

Es sind keine Wohltaten, die Ampferl herbeizaubert. Es ist Strategie. Die Strategie eines Grenzgängers, der zwischen allen Parteien vermittelt - wie ein Psychologe. Er selbst vergleicht sich mit einem Notarzt - der dem schon bewusstlosen Patienten schnellstmöglich helfen muss, noch bevor er ihn eingehend untersuchen konnte.

In der Branche gilt Ampferl als einer der zugänglicheren Vertreter seines Fachs, als einer, der sich die Menschlichkeit bewahrt, auch wenn er vor allem für die Sachwerte zuständig ist. Schon viele Krisenbetriebe hat er von innen gesehen. Der gebürtige Oberbayer aus Kösching hat in Ingolstadt zunächst Bankkaufmann gelernt, dann in Regensburg Betriebswirtschaftslehre und schließlich Rechtswissenschaften studiert. Auch in seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit Insolvenzrecht.

Seine Arbeit ist für ihn Faszination. "An Wochenenden und bis tief in die Nacht sitzen wir mit dem ganzen Team zusammen und überlegen, welche Strategie wir verfolgen sollen", sagt Ampferl. Für sein Privatleben bleibe da wenig Zeit. "Ich jage nicht und spiele auch nicht Golf", sagt er. "Und über mich selbst rede ich ungern, über meine Verfahren am liebsten ganze Tage."

Zum Beispiel darüber, wie er eine Lösung für den Oberpfälzer Anlagenhersteller Schmack Biogas suchte und mit dem Verkauf an einen Heizungsbauer fand. Wie er den Nachlass des ehemaligen Regener Landrates ordnete, der sich wegen Spielschulden das Leben nahm. Oder über das, was er bei einem Pilzhändler, einem Glühweinhersteller oder einem Eiaufschlagbetrieb erlebte - und gelernt hat.

Müller-Brot ist nicht der erste Betrieb, in dem er neben wirtschaftlichen Problemen auch gegen hygienische ankämpft. "Deshalb nehme ich das Hygieneproblem auch so ernst", sagt er. Am Montag sollen Lebensmittelkontrolleure erneut prüfen, ob in Neufahrn wieder gebacken werden darf. Nur so lassen sich Bäckerei und Filialnetz als Paket verkaufen, nicht nur in Einzelteile zerlegt verramschen. Und damit wird sich auch entscheiden, wie Ampferl bei Müller-Brot vom Platz geht, als Sieger oder als Geschlagener.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2012
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