Süddeutsche Zeitung

Innenstadt:Bis zu 250 Gaffer filmen in München Unfallopfer und behindern Rettungskräfte

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Von Thomas Schmidt, München

Ein Wagen liegt zerbeult auf dem Dach, drei Menschen sind schwer verletzt - und eine Horde Schaulustiger drängt zur Unfallstelle, umringt die Autowracks und filmt die Verletzten, statt den Menschen in ihrer Not zu helfen: In der Münchner Innenstadt ist es am Mittwochmittag zuerst zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen und anschließend zu schockierenden Szenen, die die Polizei in Entsetzen versetzt haben.

Laut Christoph Reichenbach, Sprecher der Münchner Polizei, sollen sich nach dem Unfall an der Kreuzung von Landwehr- und Paul-Heyse-Straße in kürzester Zeit zwischen 200 und 250 Gaffer versammelt haben, noch bevor die Rettungskräfte eintrafen. Die Schaulustigen hätten ihre Smartphones gezückt und die Schwerverletzten in ihren Fahrzeugen durch die Autoscheiben hindurch fotografiert und gefilmt. "Die Einsatzkräfte waren völlig entsetzt", berichtet Reichenbach. Um die Rettungsarbeiten zu ermöglichen, mussten Polizisten die Masse von Sensationsgierigen vertreiben. Zahlreiche Platzverweise wurden ausgesprochen, doch einige Gaffer kümmerte auch das nicht. Erst als Polizisten damit drohten, unmittelbaren Zwang auszuüben - also körperlich zuzupacken -, wichen sie von den Wracks weg, wie Reichenbach berichtet.

Der Unfall, der so viele Schaulustige angezogen hatte, war heftig. So heftig, dass eines der beiden Autos aufs Dach geschleudert wurde. Kurz vor 13 Uhr fuhr ein Rettungswagen der Johanniter, ein Ford Fiesta, auf der Paul-Heyse-Straße zügig in Richtung Hauptbahnhof, erläutert Reichenbach. Der 25-jährige Sanitäter sei auf dem Weg zu einem Notfalleinsatz gewesen und habe Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet gehabt. Trotz roter Ampel wollte er die Landwehrstraße überqueren. Im selben Moment fuhr ein 86-jähriger Rentner, der den Rettungswagen offenbar nicht bemerkt hatte, in die Kreuzung ein, neben ihm saß seine 85-jährige Frau auf dem Beifahrersitz. Es kam zur Kollision.

Der Wagen des Rentnerpaars wurde ausgehebelt und schleuderte aufs Dach. Beide Senioren wurden schwer verletzt und zur stationären Behandlung in eine Klinik gebracht, schweben laut Polizei aber nicht in Lebensgefahr. Der 25-jährige Rettungsassistent wurde ebenfalls in ein Krankenhaus gefahren, er zog sich nach ersten Berichten aber nur leichtere Verletzungen zu. Bis die Kräfte der Feuerwehr die Unfallstelle erreichten, hatten sich die Frau und der Sanitäter schon selbst aus ihren Autos befreit, berichtet ein Sprecher. Der 86-Jährige hingegen habe sich im Gurt und mit seiner Kleidung verfangen und musste von den Helfern schonend aus dem Wrack geholt werden.

Die Einsatzkräfte sperrten den Bereich um die Kreuzung weiträumig ab. Polizisten machten auch die Zufahrtsstraßen dicht, um den Unfall aufnehmen und die schwer beschädigten Fahrzeuge bergen zu können. Das löste am frühen Nachmittag in der Nähe des Hauptbahnhofs entsprechende Verkehrsbehinderungen aus. Ob die zahlreichen Gaffer ungeschoren davonkommen, wird sich erst noch zeigen. Denn die Polizei versucht nun, nachträglich zu ermitteln, wer lieber Fotos knipste, als Hilfe zu leisten.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2017
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