Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Großmäulige Schrulligkeit

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"Wet Leg" präsentieren ihr gleichnamiges Debütalbum in der Milla.

Von Stefan Sommer, München

Brandreden, die man sich im Kopf zurechtlegt, haben wenig gemein mit den Empörungslüftchen, die man tatsächlich aushustet. Selten hält die Realität der Fantasie stand. Auch die Band Wet Leg macht diese Erfahrung in diesen Tagen. In der Milla trifft ihr Hit "Chaise Longue", in dem sie erzählen, wie sie einen fiktiven Fan in einen fiktiven Backstagebereich locken, auf echte Fans und einen echten Backstagebereich. Haben sich Rhian Teasdale und Hester Chamber am Küchentisch zu Hause auf der Isle of Wight hineingesteigert, wie sie besagten Fan eines Tages auf warmes Bier einladen werden, wirkt der Text live urkomisch. "Hey You! Over there!", singen Weg Leg zwar, aber wären wohl auch nicht unglücklich, falls sich später niemand in ihre Garderobe verirren würde.

Die Mittzwanzigerinnen kennen sich seit dem College. Lange bevor sie Wet Leg wurden, wurden sie Freundinnen. Dass "Chaise Longue" solch ein Hit werden könnte, dass dieses widerspenstige Stück Slackertum, das sie auf dem Sitzmobiliar von Chambers Großvaters geschrieben haben wollen, sie zu einer der Bands des letzten Jahres machen würde, klingt wie eine Episode aus einem Greta-Gerwig-Film. Ja, ihr ganzes Debütalbum "Wet Leg", das in England auf Platz eins der Charts stand, strotzt nur so vor großmäuligen Beobachtungen, wie es Gerwigs Figur Lady Bird kaum besser formulieren könnte.

Live lässt sich diese Schrulligkeit, diese herrliche Unbeholfenheit nachspüren. Teasdale und Chamber nehmen sich und Indierock nicht allzu ernst. Als stünden sie auf einem Schulhof, würden zusammen Algebra schwänzen, ziehen sie in der Milla Grimassen voreinander. Und es wirkt so, als wäre ihnen egal, ob jemand zusieht. Zu "Ur Mom" pressen sie die Gitarrenhälse an ihre Menschenhälse. Eins mit ihren Instrumenten, drehen sie tollpatschige Pirouetten. Als die eine ins Stolpern kommt, fast fällt, sich doch fängt, überkommt beide ein Lachanfall. Nun, auch die Realität hat ihre Vorzüge.

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