Süddeutsche Zeitung

Humor:Nichts, desto und trotz

Lesezeit: 4 min

Thomas Steierer hat das Passauer Scharfrichter-Beil gewonnen und seinen Job in einer Werbeagentur gekündigt. Jetzt setzt er ganz aufs Kabarett. Aber der 35-Jährige kann noch nicht davon leben, auf der Bühne zu stehen. Auch deswegen schreibt er gerade ein Buch: "Warum ich Komiker bin"

Von Gerhard Fischer

Thomas Steierer sagt auf der Bühne Sachen wie: "Eine Frau hat einmal zu mir gesagt, ich würde sie erden - kein Wunder, ich bin am Boden." Oder: "Immerhin, selbst ich werde im Leben noch zum Zug kommen." Pause. "Vor dem Selbstmord." Und da würde er endlich mal richtig liegen, langfristig. Ist das Depri-Kabarett, angelehnt an Nico Semsrott?

Steierer hat im Dezember das Passauer Scharfrichterbeil bekommen. Das ist ein angesehener Preis für Nachwuchskabarettisten, den schon Größen wie Günter Grünwald oder Luise Kinseher gewonnen haben. Der 35-Jährige kann noch nicht davon leben, Kabarettist zu sein. Und es ist schwer zu sagen, wohin das Ganze führen wird.

Thomas Steierer ist mit seinem Programm "Der urbane Dorfdepp" bisher sechs Mal aufgetreten. Man kann auf Youtube ein Video angucken, wie er im Herbst im Vereinsheim in München auf der Bühne steht. Es fällt auf: Der Mann mit den wuscheligen Haaren redet bloß. Er grimassiert nicht, er gestikuliert nicht, er schlüpft nicht in Rollen. Man denkt an den Song "Hier kommt Kurt, ohne Helm und ohne Gurt. Einfach Kurt." Einfach Thomas.

Die Passauer Neue Presse schrieb, Steierer sei ein "Anti-Entertainer mit der Aura des Unbeholfenen, der hier mal sein Glück versucht". Er gehe "schutzlos" auf die Bühne, er habe nur das Wort. Andere nannten ihn einen "maximalen Minimalisten" und "unverzagten Zweifler".

Thomas Steierer wohnt im Westend. Bei den Mails, die man zuvor gewechselt hat, ist er mal freundlich, mal fürsorglich ("Wohne im dritten Stock, Hoftor etwas tricky, man muss den Torknauf rechtsrum drehen"). Man muss den Knauf gar nicht drehen, denn das Tor ist offen.

Thomas Steierer trägt einen Oberlippen-Bart und einen Käptn-Ahab-Vollbart, also einen, der nur unten am Kiefer wächst. Er sieht aus wie ein Student oder ein Künstler und nicht wie ein Anzugträger mit Bedeutung. Steierer, das merkt man gleich, folgt seiner Leidenschaft und nicht dem Geld, und er sagt ehrlich: "Ich bin noch nicht wahnsinnig weit oben."

Und das mit dem Depri-Kabarett rückt er gleich gerade.

Ja, am Anfang drehe sich schon alles um den "Lebensnichtlauf", räumt er ein. Aber das Programm werde dann - mit Humor, manchmal mit Galgenhumor - immer positiver und biete am Ende eine Wendung zum Guten. "Es ist wie ein Drehbuch mit drei Akten, aufgeteilt in nichts, desto und trotz." Die Zuschauer könnten mit einem Immerhin-Gefühl nach Hause gehen.

Thomas Steierer ist in München, am Harras, aufgewachsen. Er studierte Politik, Philosophie und Theologie. Wie er zur Theologie kam, sagt etwas über ihn aus: Steierer machte ein Reise, und er hatte das Neue Testament dabei. Er las es, irgendwo zwischen Thailand und Australien, und er fand, in dem Buch seien "Weisheiten in gute Geschichten verpackt". Als er wieder in Deutschland war, schrieb er sich für Theologie ein. Weil es ihn interessierte.

Wenn man Steierer mit, sagen wir, zwei Vokabeln beschreiben müsste, würde man sagen: Er ist offen, so wie sein Hoftor, und er ist begeisterungsfähig.

Es folgte "ein halbherziger Anlauf", Kabarett zu machen, sagt er. Zwischen 2009 und 2012 hatte er sieben Auftritte. Er habe sich da hinter einer Figur versteckt, hinter Emil Bamperl, dem Biedermann. Die Reaktionen seien "ambivalent" gewesen. Manche fanden es gut, aber es gab auch einen Abend im Vereinsheim, da habe keiner auf seinen Bamperl reagiert.

Er habe dann "erst mal versucht, im Berufsleben Fuß zu fassen". Steierer arbeitete als Journalist, unter anderem berichtete er für die Deutsche Presse-Agentur von Kabarett-Veranstaltungen; er gab an der Uni ein Kabarett-Seminar; er arbeitete für Werbeagenturen und als Assistent eines Redaktionsleiters beim Bayerischen Rundfunk. Und er versuchte sich als Gagschreiber für die Harald-Schmidt-Show. "Das war ein Pool von 60, 70 Schreibern - aber von mir ist nie etwas genommen worden."

Thomas Steierer redet sehr schnell. Es ist schwül an diesem Tag, und seine wuscheligen Haare sind auf den Kopf geklatscht. Das hastige Reden und die feuchten Haare vermitteln den Eindruck, er sei atemlos, aktiv, immer auf der Suche nach Neuem, das ihn begeistert. Einmal hat er sogar einen Humor-Workshop veranstaltet.

"Auf dem Papier sieht mein Lebenslauf ganz gut aus: Studium, Journalist", sagt er, "aber da ist eine Diskrepanz zwischen Schein und Sein." Er habe beruflich "nicht dauerhaft" Fuß fassen können: mal hatte er befristete Verträge, mal reichte das Geld nicht, mal gefiel ihm die Arbeit nicht. Er hatte den "Lebensnichtlauf" seiner Bühnenfigur. "Das bin schon ich selbst auf der Bühne", sagt er, "aber natürlich zugespitzt."

Steierer begann Anfang 2017 seinen zweiten Anlauf, Kabarettist zu werden. Weil es das ist, wofür er brennt. Seine Vorbilder sind Pelzig, Heinz Strunk und, ja auch, Nico Semsrott, der Dinge aus der Politik und Wirtschaft greifbar mache. Bei ihm, Thomas Steierer, komme Politik unterschwellig vor, etwa wenn es um die Ausbeutung in der Arbeitswelt gehe.

Kürzlich hat er seinen Job bei einer Werbeagentur gekündigt. "Ich setzte jetzt alles auf eine Karte", sagt er. Steierer möchte Kabarettist und Schriftsteller sein. Er arbeitet gerade an einem Buch - es geht darin um das Bühnenprogramm, um Hintergrundgeschichten und um Biografisches. George Orwell habe ein Buch mit dem Titel "Why i write" geschrieben, er schreibe eines mit der Überschrift "Warum ich Komiker bin." Er sucht noch einen Verlag.

Der Vergleich mit Orwell bezieht sich nur auf den Titel, er würde sich sonst nie auf diese Stufe stellen. Thomas Steierer mag überzeugt davon sein, dass es das Richtige ist, was er aus seinem Leben macht. Aber überheblich ist er nicht.

Steierer sagt, er sei jetzt in einer spannenden Phase. Nach dem Senkrecht-Start mit dem Scharfrichter-Beil müsse er seinen Erfolg bestätigen und sich als Kabarettist etablieren. Was nicht einfach ist. "Manche Veranstalter, die Preise vergeben, laden mich gar nicht mehr", sagt er, "weil sie meinen, ich hab's nach dem Scharfrichter-Beil geschafft und habe das nicht mehr nötig." Außerdem sei der Druck gestiegen. "Das ist das wieder mit dem Schein und dem Sein - unter der Oberfläche ist nicht alles toll."

Thomas Steierer kann noch nicht leben vom Auftreten und Schreiben; er habe dennoch keine Existenzängste, sagt er. Und einen Plan B gebe es auch nicht. Er lacht. Dann sagt er: "Ich mache das jetzt, bis es Erfolg hat."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4014876
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.06.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.