Süddeutsche Zeitung

Hilfsangebot:Ein Draht zu den Menschen

Lesezeit: 2 min

Mit Norbert Ellinger hat die ökumenische Beratungsstelle Münchner Insel einen neuen evangelischen Leiter

Von Ben Bergleiter, Altstadt

Die Münchner Insel ist seit fast 50 Jahren ein essentieller Bestandteil der S- und U-Bahn-Station Marienplatz. Dort unten liegt sie recht unscheinbar inmitten der Anonymität der Masse. Menschen hetzen, schlendern und stolpern vorbei. Vor der Pandemie gingen sie auch hinein, doch derzeit ist die Beratungsstelle der beiden großen Kirchen nur über Telefon oder Videocall erreichbar. Leider, denn dieser Ort besticht gerade dadurch, dass hier mitten in der Großstadt Menschen aller Art mit Problemen aller Art einfach so ohne Termin vorbeikommen können.

Das findet auch Pfarrer Norbert Ellinger, der neuer evangelischer Leiter der Anlaufstelle ist und am Sonntag in sein Amt eingeführt wurde. Vor dieser Station war der heute 57-Jährige sechs Jahre lang Leiter der Telefonseelsorge München, die telefonische Beratung ist also Routine für ihn. Doch er will weg vom Telefon und hin zum Menschen, will ihm in die Augen schauen, abwägen was im Gegenüber vor sich geht. Denn genau das hat ihn vom bloßen Pfarrer zum Seelsorger gemacht: der psychologische Dialog mit Menschen.

Ellinger ist Verfechter der systemischen Seelsorge, das bedeutet, er betrachtet Menschen immer im Kontext ihres Umfeldes und ihrer Lebensrealität. Diese Perspektive bekam er durch zahlreiche Aus- und Weiterbildungen rund um Psychologie und Kommunikation. Wenn jemand mit einem Anliegen auf ihn zukommt, verurteilt er nicht, er versucht, sein Gegenüber zu verstehen.

Um Ellinger selbst zu verstehen, muss man einen Blick in sein Leben werfen. Er ist als Sohn eines Bierbrauers und einer Hausfrau in einem fränkischen Dorf aufgewachsen. Den Zugang zur Kirche fand er über den evangelischen Knabenchor. Die Zusammenarbeit der katholischen und der evangelischen Kirche - die Ökumene - zieht sich durch Ellingers Leben, wie ein roter Faden: Seine Frau ist katholisch, im katholischen Brasilien leitet er sechs Jahre lang eine evangelische Gemeinde, danach ein evangelisch-katholisches Studentenheim in Freimann, und im Fall der Münchner Insel führt er zusammen mit der katholischen Leiterin Sibylle Loew eine ökumenische Beratungsstelle.

Teil seiner ganz persönlichen Realität, ist, dass er selbst auch schon durch dunkle Täler geschritten ist: Norbert Ellinger hat ein Kind im Alter von nur drei Tagen verloren, ein anderes ist mit einer schweren Behinderung auf die Welt gekommen, und ein Familienmitglied hat sich das Leben genommen. Manche Menschen treibe so etwas in den Zynismus, sagt Ellinger, doch er fühle dadurch nur umso empathischer mit Hilfesuchenden. Auf die Frage, worauf er sich am meisten freue in der nächsten Zeit, antwortet er: "Die Menschen und den einfachen, direkten Kontakt". Diese Freude dürfte wohl auf beiden Seiten zu spüren sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5435228
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.10.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.