Süddeutsche Zeitung

Heizkraftwerk Nord:Aus dem schnellen Kohleausstieg wird nichts

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Von Dominik Hutter, München

Das Kohlekraftwerk im Münchner Norden soll auch nach 2022 noch für mehrere Jahre weiterlaufen - allerdings mit gedrosselter Leistung. Ein entsprechendes Konzept schlägt der für die Stadtwerke zuständige Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner dem Stadtrat vor. Hintergrund sind das inzwischen absehbare Veto der Bundesnetzagentur, die einer Abschaltung zustimmen muss, und eine zu erwartende Lücke in der Münchner Fernwärmeversorgung, die trotz diverser Bemühungen der Stadtwerke wohl vorerst nicht zu schließen wäre.

Als realistischer Abschalttermin gilt nun ein Zeitraum zwischen 2026 und 2028. Damit wäre der Bürgerentscheid vom Herbst 2017, bei dem sich eine Mehrheit der Münchner für eine Stilllegung spätestens Ende 2022 ausgesprochen hatte, obsolet. Das Votum war allerdings ohnehin nur für ein Jahr bindend.

Die Entwicklung kommt für Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach nicht überraschend - ein Nein der Bundesnetzagentur, die über die Versorgungssicherheit in ganz Deutschland wacht, war seit Langem erwartet worden. Das Veto aus Bonn liegt streng genommen noch nicht vor, die Behörde äußert sich stets sehr zeitnah zum möglichen Stilllegungstermin. Der Netzbetreiber Tennet hat aber Ende Mai den Stadtwerken offiziell mitgeteilt, dass die Abschaltung im Jahr 2022 voraussichtlich untersagt wird.

Da sich die Netzagentur stets auf diese Expertise stütze, so das Wirtschaftsreferat, komme das Schreiben von Tennet "quasi einer offiziellen Untersagung der Stilllegung gleich". Bieberbach geht davon aus, dass die sogenannte Systemrelevanz und damit das Abschaltverbot erst mit Fertigstellung der neuen Nord-Süd-Stromtrassen ausläuft, also zwischen 2026 und 2028. Dann könne der Kohleblock endgültig heruntergefahren werden.

Bieberbach will sich dafür an den bundesweiten Auktionen beteiligen, bei denen Kraftwerksbetreiber ihre Anlage zur Stilllegung anmelden können - im Gegenzug winkt eine Entschädigung. Dieses Prinzip, das auf die Empfehlung der Kohlekommission zurückgeht, ist allerdings noch nicht vom Bundestag abgesegnet. Die Stadtwerke könnten den Block nach Wegfall der Systemrelevanz aber auch ohne Teilnahme an der Auktion vom Netz nehmen, notfalls eben ohne Entschädigung.

Die Bemühungen der Stadtwerke, den Ausfall bei der Stromproduktion durch neue Gaskraftwerke zu kompensieren, gelten inzwischen als gescheitert. Ideallösung wäre aus Sicht Bieberbachs der Bau eines neuen großen Gaskraftwerks am Standort Unterföhring gewesen. Eine solche Anlage hätte nicht nur die entstehende Lücke beim Strom, sondern auch die bei der Fernwärme schließen können. Letztere ist zwar für die Systemrelevanz irrelevant, aber natürlich für die Münchner Bevölkerung von großer Bedeutung. Die neue Anlage ist jedoch im Unterföhringer Gemeinderat durchgefallen und damit vom Tisch.

Gleiches gilt für die dezentralen Blockheizwerke, in denen die Stadtwerke so lange mit Gas Fernwärme erzeugen wollten, bis der Ausbau der Geothermie weit genug vorangeschritten ist. Deren mögliche Standorte waren in den Bezirksausschüssen allesamt durchgefallen. Ohne diese Provisorien aber wäre laut Berechnungen der Stadtwerke nach einem Aus für den Kohleblock die Münchner Fernwärmeversorgung nicht mehr gesichert, es fehlen 420 Megawatt.

Aus der Kohleverbrennung aussteigen will Bieberbach aber trotzdem. Die Anlage im Münchner Norden soll daher, so steht es in der Beschlussvorlage des Wirtschaftsreferats, nur "so lange wie systemrelevant" weiterbetrieben werden und dann "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" vom Netz gehen. Voraussichtlich wird das in der Zeit zwischen 2026 bis 2028 der Fall sein. Bis dahin, das haben die Stadtwerke immer wieder versichert, ist der Ausbau der umweltfreundlichen Geothermie so weit fortgeschritten, dass die Versorgungslücke kein großes Problem mehr darstellt. Der Ausbau soll forciert werden.

Um weniger Schadstoffe in die Luft zu blasen, wollen die Stadtwerke den Kohleblock mit verminderter Jahresleistung laufen lassen. Das soll der Umwelt bis 2028 etwa die Kohlendioxidbelastung für ein Jahr Vollbetrieb ersparen, rund 1,5 Millionen Tonnen. Konkret sieht der sogenannte Kohleminderungspfad vor, die Anlage im Sommer über längere Zeiträume abzuschalten - dann wird ohnehin weniger Fernwärme benötigt. Im Winter hingegen bleibt die mit moderner Kraft-Wärme-Kopplung ausgestattete Anlage mit kompletter Leistung am Netz.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2019
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