Süddeutsche Zeitung

Händler gegen Pegida:"Wir werden total eingekesselt"

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Anlauf

Xaver Scheitinger packt ein. Es ist Viertel nach fünf am Nachmittag, der Mann mit silbernem Vollbart und Filzhut steigt aus dem weißen Lieferwagen und trägt Steige für Steige zum Wagen: Schrobenhauser Spargel, frische Datteln, Tomaten aus Sizilien. Normalerweise darf der Obst- und Gemüsehändler mit seinem Stand bis um 20 Uhr seine Waren verkaufen.

Aber was ist schon normal an einem Montag am Odeonsplatz. Bereits um kurz nach 16 Uhr tauchen die ersten Polizeiautos auf, Beamte in schwarzer und grüner Montur bevölkern langsam den Platz vor der Feldherrnhalle. Noch bevor Xaver Scheitinger zweieinhalb Stunden vor seiner Zeit das Feld räumt, zieht sich ein Band mit rot-weißen Absperrgittern über die Fläche. Von 19 Uhr an treten die Rechtspopulisten von Pegida auf, wie jeden Montag seit Monaten.

Xaver Scheitinger fügt sich dem Schicksal, dass er wegen einer kleinen Gruppe auf mehr als zwei Stunden Umsatz verzichten muss, mit Achselzucken. "Man kann's ja ned ändern", sagt er. Seine Verkäuferin wird da schon deutlicher. "Des is' scho' heftig", sagt sie. Wenn man den Verlust aufs Jahr rechne, komme man als Gemüsehändler insgesamt auf weit mehr als 5000 Euro. "Die Geschäftsleut' regen sich zu Recht auf", findet die Obstverkäuferin.

Die Geschäftsleute in der Umgebung des Odeonsplatzes haben vor wenigen Tagen einen offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) geschrieben, in dem sie sich über die großräumigen Polizeiabsperrungen jeden Montag beklagen: Kunden kämen bereits am Nachmittag nicht mehr über die Straße oder zu den Geschäften, ganze Gästegruppen, die in Restaurants nahe der Kundgebung reserviert hatten, seien nicht zu den Lokalen vorgelassen worden, selbst Parkhäuser könnten dann nicht mehr über ihre regulären Zufahrtsrouten angefahren werden. Die Händlervereinigung City-Partner mit ihrem Geschäftsführer Wolfgang Fischer findet, dass "nicht nur die grundlegenden Rechte von Gewerbetreibenden tangiert sind", mittlerweile seien sogar Arbeitsplätze in Restaurants und Gaststätten der Altstadt gefährdet.

Mitarbeiter kommen, aber keine Kunden

Eduard Meier steht vor seinem Laden an der Brienner Straße und blinzelt in die Abendsonne. Der Betreiber des ältesten existierenden Schuhgeschäfts in Deutschland hat ein paar seiner Mitarbeiter vor die Tür gebeten, sie halten ein großes Transparent in den Händen: "Wir wollen arbeiten", steht darauf. Es klingt plakativ, aber Meier und seine Leute haben es an diesem Nachmittag tatsächlich nicht eilig, wieder an die Arbeit zu gehen: Kundschaft ist nicht in Sicht.

Etwa zwei Dutzend Mitarbeiter haben Ed Meier und seine Schwester Brigitte beschäftigt. "Ich darf gar nicht dran denken, die hab' ich heute alle umsonst", sagt der Chef des Traditionshauses. Dabei haben die Meiers eigentlich Glück an diesem Montag. Im Gegensatz zur vergangenen Woche ziehen die wenigen Dutzend Demonstranten unter massiver Polizeibegleitung nicht durch die Brienner Straße, sondern vom Odeonsplatz nach Norden und wieder zurück. Doch die Montagskundgebungen und ihre Begleiterscheinungen mit den Absperrungen haben sich unter den Münchnern längst herumgesprochen.

"Die Leute kommen montags nicht mehr", sagt Frank Waldecker. Der Chef des Café Tambosi lehnt an einem Absperrgitter am Durchgang zum Hofgarten und blickt zu Feldherrnhalle hinüber. "In dem Moment, wo die anfangen, verflüchtigen sich alle", sagt er. "Die will doch keiner hören." Mit "die" meint er die Leute von Pegida. Die haben noch nicht mit der Montagskundgebung begonnen, die roten Kaffeehausstühle vor dem Lokal sind mit Sonnenhungrigen besetzt.

Waldecker findet, "die sollen sich irgendwo hinstellen, wo sie niemanden stören". Seit Monaten "penetrieren 150 Leute die ganze Stadt", sagt der Gastronom. Kritik übt Waldecker aber auch an der massiven Polizeipräsenz und der Sperrung von ganzen Straßenzügen: "Das ist unverhältnismäßig", sagt er.

Das findet auch Martin Münch. "Ich habe das Gefühl, es wird von Woche zu Woche schlimmer", sagt er. Der leitende Mitarbeiter im Sportgeschäft Ertlrenz sagt, montags sei das Geschäft an der Brienner Straße normalerweise um 17 Uhr dicht: "Wir werden total eingekesselt, und das für 100 Leute auf der einen Seite und 200 auf der anderen Seite."

Für andere Demonstrationen werde nie ein derartiger Polizeiaufwand betrieben. Vergangene Woche hätten allein vor dem Sportgeschäft von Martina Ertl und Sven Renz 25 Polizeibeamte gestanden. "Da traut sich doch keiner mehr rein", so Münch. Eigentlich könnte man montags zwei Stunden früher zusperren, es käme ja doch kaum ein Kunde.

Die Stadt prüft und prüft

Schuhhändler Meier versteht auch nicht, dass sich bislang weder der Oberbürgermeister, noch der Wirtschaftsreferent oder der Kreisverwaltungsreferent bei den Geschäftsleuten gemeldet hat. Sie hätten durchaus Vorschläge, wie man die problematische Situation verbessern könnte: weniger Polizeipräsenz etwa als die durchschnittlich 200 Beamten pro Kundgebung und ein Demonstrationsverbot an historisch sensiblen Orten wie der Feldherrnhalle.

Derzeit prüft die Stadt erneut, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, derartige Kundgebungen einzuschränken. Denn mittlerweile haben sich zahlreiche Geschäftsleute bei Reiter beklagt, dass sie montags hohe Umsatzeinbußen wegen der ausbleibenden Kunden erleiden.

Am Dienstag machte CSU-Stadtrat Marian Offman einen weitreichenden Vorstoß: Er fordert die Verwaltung auf, zu prüfen, ob Pegida-Demonstrationen wegen der Verbreitung volksverhetzender Parolen abgebrochen werden können.

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SZ vom 13.04.2016
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