Süddeutsche Zeitung

Goldene Bar:Vergängliche Klopoesie

Ob getrieben von Liebeskummer oder beschwingt von Lebensfreude: Klosprüche verraten, wie eine Kneipe tickt. Nur in der Goldenen Bar ist dies anders.

Lisa Sonnabend

Wer das Wesen einer Bar verstehen will, muss aufs Klo gehen. Denn während die Gäste zu Potte kommen, schreiben sie auf, was sie bewegt. Ob getrieben von Liebeskummer oder beschwingt von Lebensfreude, ob mit Edding gekrakelt oder mit Messer in die Holztür geritzt.

Im Jennerwein, jener herrlich verranzten Kneipe in Schwabing, werden am Tresen tiefsinnige Gespräche geführt. Manchmal zu tiefsinnig. Eine Besucherin hat deswegen bei einem Aufenthalt in der Keramikabteilung formuliert: "Wer nicht lacht, den sticht die Biene zuerst." Auf den Toiletten im Atomic Café kommen Zweifel auf, ob das hier wirklich Münchens Vorzeige-Britpop-Club ist: "Kaiser Chiefs are God", steht da, eine Band, die Anfang der Nuller Jahre einmal kurz cool war. Im Absturzlokal Pimpernel reicht es am Klo nur zu wackeligen Strichmännchen - wohl wegen des berauschten Zustandes.

Im Haus der Kunst hat vor kurzem die Goldene Bar eröffnet. Von der Decke baumelt ein imposanter Leuchter, an den Wänden hängen Landkarten aus vergangenen Zeiten, die Gäste tragen Rollkragenpulli, trinken nachmittags Latte Macchiato und abends Wein. Wie es in dem Künstlerlokal auf den Toiletten aussieht?

Dort hängt eine Schiefertafel, ein Stück Kreide liegt bereit. Scheinbar traut der Wirt seinen Gästen nicht zu, Meisterwerke hervorzubringen wie nebenan im Museum. Nicht einmal richtige Klopoesie. Denn der Liebesschwur von vergangener Woche ist bereits weggewischt - wie ein Tattoo, das sich abwaschen lässt, oder Graffiti, die man abziehen kann.

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