Süddeutsche Zeitung

Giesing:Ein Viertel feiert seine Vielfalt

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Mehr als 2000 Gäste strömen am Wochenende zur Giesinger Kultur-Dult. Musiker und Kreative zeigen bei dem Straßenfest zwischen Kistlerstraße, Sägstraße und Tegernseer Landstraße, wie viel Potenzial in der lokalen Szene steckt

Von Christina Koormann, Giesing

"Giasing, Giasing, wos hams mit dir gmacht? Du bist a tote Stadt worn, beim Dog und bei der Nacht. Giasing, Giasing, wo san deine Leit?" - Das sang Peter Jacobi 1974 in einem provokanten Lied über diesen Münchner Stadtteil, veröffentlicht auf der LP "I could cry for lauta Bluus".

Wäre er am Wochenende auf der ersten Giesinger Kultur-Dult gewesen, hätte er sich spätestens hier davon überzeugen können, dass "die Leit" sehr wohl da sind und der Stadtteil alles andere als tot, sondern voller Leben ist: Etwa 2000 Menschen besuchten am vergangenen Wochenende das Straßenfest zwischen Kistlerstraße, Sägstraße und Tegernseer Landstraße und feierten gemeinsam die Vielfalt und Kreativität des einstigen Arbeiterviertels.

"Das Giesing von Peter Jacobi hat sich gewandelt und wird sich weiter wandeln", sagte Carmen Dullinger-Oßwald, Vorsitzende des Bezirksausschusses 17 Giesing/Fasangarten. "Am besten ist es, wenn die Giesinger selbst etwas mit Giesing machen." Und das taten sie: Zweieinhalb Tage lang zeigte sich die ansässige Kultur-und Kreativszene des Viertels mit viel Musik, verschiedenen Aktionen, Filmen, Kinderprogramm und Stadtteilführungen.

Nicht nur den Bewohnern des Stadtteils, sondern auch vielen anderen Münchnern präsentierte sich Giesing auf ganz neue Art. An langen Tischen kamen Nachbarn, Freunde und neue Bekanntschaften zusammen und freuten sich über die neue Nutzung des öffentlichen Raums - bis in die späte Nacht und mit Weißwurstfrühstück am Morgen.

"Vielfalt ist die Stilrichtung, durch die Kultur-Dult gewinnt das Viertel mehr Identität", sagte Dirk Wagner, der das Programm moderierte. Neben der österreichischen Band Attwenger, die am Freitagabend eine große Menge Besucher anzog, spielten unter anderem Los dos voltos Percussion auf ihrem Lederkoffer, schwenkte Tamara Flamenca beim Flamenco eindrucksvoll ihren Fächer, wandelten die Pantomimen "Mozart und Maria" durch das Geschehen, rappte das gambisch-senegalesische HipHop-Duo Suleyman & Paali, brodelte die Express Brass Band und musizierte die Giesinger Band Tela-Report. "Das Café Schau ma moi ist unser Vereinsheim", sagte Judith Hermes, Frontfrau der Band. "Hier kennen sich alle, hier treffen wir uns immer nach unseren Proben."

Auch dort, im "kleinsten Biergarten Münchens", gab es am Samstag viel Musik. "Giesing mausert sich", konstatierte Wirtin Gabi Benkert, die mit Hagen Kling und dem Kulturreferat, dem Trikont-Verlag, dem Quartiersmanagement der Sozialen Stadt Giesing und dem Kreativbüro allmender die Kultur-Dult organisiert hat. "Giesing ist das schönste Viertel der Stadt - früher war es als Glasscherbenviertel verschrien, heute ist es lebendig und bunt, hier kann jeder sein, wie er will, und Vermischung ist das Beste, was einem Viertel passieren kann", sagt Gabi Benkert.

Auf einer großen Zeichnung, die zum Ausmalen animierte, zeigte die Künstlerin Carmen Miller vom "Kekko Kreativraum" den gesamten Stadtteil. Barbara Feige, die Besucher unter dem Motto "Giesing Alt und Neu" durch die Straßen führte, ist am Wettersteinplatz aufgewachsen: "Hier ist meine Heimat, und ich finde es spannend, den Wandel zu sehen." Hagen Kling vom Kulturreferat zeigte sich am Sonntag sehr zufrieden: "Wir hatten viel Glück mit dem Wetter, der Ablauf war einwandfrei, und ich bin auch den Anwohnern und Nachbarn dankbar, dass sie das Fest so unterstützt haben" - so seine rundum erfreuliche Bilanz.

Die Idee, mit der Kultur-Dult die Identität und Gemeinschaft des Viertels zu fördern, habe gut funktioniert. Deshalb liegt die Idee nicht fern, dieses Format auch auf andere Stadtteile zu übertragen. Organisator Hagen Kling wechselt zwar bald in den Ruhestand, aber der Bezirksausschuss will sich um eine Wiederholung im nächsten Jahr bemühen. "Dann komme ich als Privatmann vorbei", sagt Kling. Mit einem interreligiösen Gebet und anschließendem Frühschoppen endete das Festwochenende. "Giasing, Giasing" - lebendig und bunt "beim Dog und bei der Nacht."

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Quelle:
SZ vom 05.09.2016
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