Süddeutsche Zeitung

Porträt:Präzise Eleganz

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Giedrė Šlekytė überzeugt als Assistentin am Pult des Staatsorchesters, nun dirigiert sie erstmals die Münchner Philharmoniker

Von Klaus Kalchschmid, München

Vier Vorstellungen von Giuseppe Verdis "La Traviata" hat Giedrė Šlekytė am Pult des Staatsorchesters im Nationaltheater schon hinter sich, zwei folgen noch, eine diesen Freitag und eine zu den Festspielen. Die Litauerin ist Assistentin des Generalmusikdirektors Vladimir Jurowski und hat "zwei Ohren zusätzlich im Publikum zu seinen beiden schon ganz hervorragenden, um alles, was vielleicht nicht funktioniert, wo Fehler passiert sind, mitteilen zu können", wie sie ihre Aufgabe erklärt. Etwa bei den Proben zur Eröffnung-Produktion im Herbst von Schostakowitschs "Die Nase", wo man "eigentlich 25 Ohren bräuchte". Parallel zu den Orchesterproben des Chefs dirigierte sie szenische Proben und die Klavierhauptprobe, damit sich der Dirigent die Inszenierung mit Abstand aus dem Zuschauerraum anschauen und -hören konnte.

Dass die 32-Jährige jetzt vor der Opernstudio-Produktion im März mit Joseph Haydns "l'infedeltà delusa" im Cuvilliés-Theater die Wiederaufnahme von Verdis "La Traviata" übernahm, kommt nicht von ungefähr, hat sie doch in den zwei Spielzeiten als erste Kapellmeisterin in Klagenfurt von 2016 bis 2018 nicht nur Neuproduktionen von Mozarts "Entführung", Donizettis "Maria Stuarda" und "Land des Lächelns", sondern auch eine der Verdi-Oper erarbeitet. Außerdem hat sie zwei Wochen neben drei anderen jungen Dirigenten in einem Meisterkurs mit Riccardo Muti in Ravenna an diesem Werk gearbeitet. Davon ist sie heute noch begeistert und schwärmt auch von Renata Scotto. Die legendäre Sängerin saß dabei. "Ich werde nie den Ausdruck ihrer Augen vergessen, als sie das Ganze beobachtete. Daran konnte man alles ablesen", sagt Šlekytė.

Wer jetzt in der vierten "Traviata" die junge Litauerin immer wieder beim Dirigieren beobachten konnte, sah ebenfalls, was er hörte: Eine wunderbar ökonomische, elegante, präzise Gestik, die nie vordergründig, nie gebieterisch war und doch immer zeigte, wer die Zügel in der Hand hat. Oftmals trat Šlekytė am Pult zurück, und es wurde ganz leise. Oder es klang wie selbstverständlich strahlend, immer rund und nie zu laut. Stets stimmte dabei nicht zuletzt die Balance zwischen Bühne und Graben perfekt. Da dürfen sich die Mitglieder des Opernstudios auf die Arbeit mit Šlekytė freuen, zumal die Dirigentin in Klagenfurt viele ehemalige Mitglieder des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper am Haus hatte, etwa Golda Schultz, Angela Brower, Elsa Benoit oder Anna Rajah - "die war meine Konstanze", so die Dirigentin.

Sängerin, Tänzerin oder Journalistin - als junge Frau hatte sie viele Berufsoptionen

Giedre Šlekytė überlegte als junge Frau, geboren in Vilnius, ob sie Sängerin ("vielleicht ein Pieps-Sopran"), Tänzerin oder Journalistin werden will. Aber dann lockte die Ausbildung in Graz und Leipzig, wo sie sehr viel Praxis-Erfahrung mit Orchester machen konnte, einschließlich eines Austausch-Semesters in Zürich. Dort studierte sie an der Hochschule der Künste bei Johannes Schläfli und dirigierte später am dortigen Opernhaus Barrie Koskys Inszenierung von Schrekers "Die Gezeichneten".

Ihre Entscheidung musste sie wohl noch nie bereuen, ist sie doch erste Gastdirigentin beim Bruckner-Orchester Linz und hat bereits mit wichtigen Orchestern und an bedeutenden Opernhäusern in ganz Europa gearbeitet. So dirigierte sie in Frankfurt "Dialogue de Carmelites" oder zuletzt mit großem Erfolg "Kát a Kabanová" an der Komischen Oper in Berlin. Gelobt von der Kritik vor allem für das enge Band von Musik und Regie, hat auch sie selbst nur die allerbesten Erinnerungen und versichert: "Das war eine unglaublich glückliche Zusammenarbeit, die sehr auf das Intime konzentriert war. Ich freue mich schon auf die nächste Produktion mit Jetske Mijnssen!"

Die Dirigentin weiß aber auch um die gewaltigen Schwierigkeiten, die die Einstudierung einer komplexen Janáček-Partitur mit sich bringt, mit all ihrer Polyrhythmik, dem Spaltklang und den enormen Anforderungen an jedes Instrument: "Man muss sich entscheiden, was man überhaupt schlägt, leider hat man nicht vier Arme wie Shiva oder Vishnu, das würde helfen!" Nicht nur weil sie selbst eine Produktion von Janáčeks "Schlauem Füchslein" dirigieren wird und gerade die Partitur studiert, ist sie derzeit auch mit großem Interesse bei den Proben von Mirga Gražinytė-Tyla für die Premiere am 30. Januar dabei, besucht aber auch Repertoire-Vorstellungen wie "Ariadne auf Naxos", um Ensemble und Orchester noch genauer kennenzulernen.

Am 27. und 28. Januar dirigiert Šlekytė erstmals die Münchner Philharmoniker mit der Uraufführung von Lera Auerbachs Cellokonzert, Ravels "La Valse" und Kodálys "Tänze aus Galátea". Aber auch ein Wunschstück wie Schuberts "Unvollendete". Gefragt, wie man sich einer zeitgenössischen Partitur annähert, betont sie, dass schon die Besetzung viel über ein Stück verrät und dass man sich am Klavier einen ersten klingenden Eindruck verschafft. Wo die Schwierigkeiten bei der Einstudierung liegen werden, das erweist sich freilich erst bei den Proben.

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