Süddeutsche Zeitung

Gegenseitiges Geben:Die guten Ruten

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Ein Rentner schenkt der ihm unbekannten Daniela Bohlinger drei wertvolle Angeln, sie spendet dafür dem SZ-Adventskalender

Von Thomas Anlauf, München

Daniela Bohlinger ist eigentlich sehr gut vernetzt. Die Industriedesignerin ist Führungskraft bei BMW für nachhaltiges Design, sie hält regelmäßig Vorträge und kommt viel herum in der Welt. Trotzdem war sie überrascht, als sie im vergangenen Sommer eine Nachricht auf dem Berufsportal LinkedIn von einer ihr unbekannten Frau erhielt. Sie trat mit ihr in Kontakt und bekam eine überraschende Geschichte zu hören. Es ging um Daniela Bohlingers Leidenschaft: das Fliegenfischen.

Die 52-jährige Münchnerin ist seit 14 Jahren eine der wenigen aktiven Fischerinnen in der Stadt. Bis in den November kann man sie regelmäßig in ihrer herbstlaub-roten Watjacke in der Isar stehen sehen, oft kommt sie nach der Arbeit vorbei und genießt im Frühjahr und Herbst die Stille im Fluss. "Da kann ich komplett abtauchen", sagt sie. Wenn sie beim Fischen mit den Gedanken woanders sei, "bin ich ein lausiger Fischer". Das erzählte Bohlinger im November 2019 der Süddeutschen Zeitung. Den Artikel las am Tag darauf Hans Bachhofer in seinem Haus in Mühlhausen in der Oberpfalz. Er ging in seinen Keller und betrachtete seine Angelruten. Gute Stücke waren das, die hatte er vor vielen Jahren gekauft, als er noch mit seiner Frau zahlreiche Reisen nach Norwegen, Finnland, Schweden und Österreich unternahm, um dort zu fischen. Doch seine Frau starb und Hans Bachhofer war nun auch schon 83 Jahre alt. Seit Jahren standen die handgefertigten gespließten Bambusruten im Keller, das Fischen hatte der Oberpfälzer längst aufgegeben. Nach der Zeitungslektüre hatte er aber eine Idee: "Ich habe gedacht, diese Frau kann das doch gebrauchen", sagt er.

Er versuchte Daniela Bohlinger ausfindig zu machen, wochenlang ohne Erfolg. Dann sprach er mit der Tochter seines Nachbarn, die in München lebt. Ob sie die Frau Bohlinger zufällig kenne? Die Wahrscheinlichkeit war verschwindend gering. Aber die Nachbarstochter versprach Bachhofer, in den sozialen Netzwerken nach ihr zu suchen - mit Erfolg. Bohlinger antwortete auf die seltsame Nachricht, dass der Nachbar ihres Vaters in Mühlhausen gerne mit ihr in Kontakt treten würde wegen eines Erbes.

Der Rentner erzählte ihr am Telefon, dass er seine wertvollen Angelruten gerne in gute Hände geben wolle. Und da er von ihr in der Zeitung gelesen habe, sei er überzeugt gewesen, Bohlinger sei eine würdige neue Eigentümerin der edlen Ruten. Nur eines wünsche er sich von ihr: Dass sie einen Betrag, dessen Höhe ihr natürlich offen stehe, an den SZ-Adventskalender für gute Werke spende. Bohlinger versprach es ihm. Zur Übergabe im Spätherbst trafen sich Daniela Bohlinger und die Nachbarstochter von Bachhofer in Milbertshofen. Sie hatte nicht nur die drei Fliegenruten, sondern auch noch drei hochwertige Lederrohre für die Angeln, eine Spinnrute, Weste und Angelbücher in einer Isoliertasche von Aldi dabei.

Das Zubehör und die Spinnrute schenkt Daniela Bohlinger nun dem Verein "Isarfischer", in dem sie Mitglied ist. Das können Nachwuchsfischer gut gebrauchen. Die drei kostbaren Fliegenruten, dessen Bambus normalerweise aus der südchinesischen Provinz Tonkin stammt, hält die Münchnerin nun in Ehren. "Die sind tatsächlich sehr schön", sagt Daniela Bohlinger. "Ich freu mich, da habe ich jetzt was ganz Besonderes." Wenn im Frühjahr die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf die Isar scheinen werden, kann man vielleicht Daniela Bohlinger von weitem sehen, wie sie mitten in München ruhig im Fluss steht und gelegentlich mit einer Bambusrute schwingt. Dann ist sie ganz in ihrem Element.

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Quelle:
SZ vom 02.01.2021
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