Süddeutsche Zeitung

Von der Familie getrennt:Junger Syrer abgeschoben

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15 Polizisten holen den 22-jährigen Sohn einer christlichen Flüchtlingsfamilie, die in Grafrath wohnt, aus dem Bett und setzen ihn in ein Flugzeug nach Polen. Nun muss er dort um Asyl bitten.

Andreas Ostermeier

Die Polizei kam überraschend. 15 Polizisten standen am Montagmorgen um 5.30 Uhr in der Wohnung einer Asylbewerberfamilie in Grafrath. Fünf Minuten hatte der 22 Jahre alte Sohn der Familie, um das Nötigste zusammenzupacken. Dann nahm ihn die Polizei mit. Kurz darauf saß er in einem Flugzeug nach Polen. Nun ist die Flüchtlingsfamilie aus Syrien auseinandergerissen, nur noch der minderjährige Sohn wohnt bei den Eltern.

Seit November leben zwei Familien und ein Ehepaar aus dem nahöstlichen Bürgerkriegsland in Grafrath. Die Flüchtlinge sind in einem Einfamilienhaus untergekommen. Ein loser Zusammenschluss von hilfsbereiten Grafrathern kümmert sich um die elf (nun noch zehn) Asylsuchenden, unterstützt sie im Alltag und sammelt Geld, damit die Familien am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dazu gehören auch gemeinsame Unternehmungen, so ein Besuch des Luzienhäuschen-Schwimmens Mitte Dezember.

Jetzt sind Flüchtlinge und Helfer erschüttert. Die Art und Weise, wie der 22-jährige Fady D. von der Polizei aus dem Bett geholt und abtransportiert worden ist, "empfinden wir als erschreckend", sagt Monika Glammert-Zwölfer, die zum Kreis der Helfer gehört. "Wie Kriminelle" würden Asylsuchende behandelt, empört sie sich. Auch Gabriele Mosandl, die im katholischen Pfarrbüro in Grafrath arbeitet, ist entsetzt. Worte wie "Wahnsinn" und "schrecklich" nimmt sie in den Mund, wenn sie über die Trennung der Familie spricht.

Kritik kommt auch vom Abgeschobenen selbst. Er hat sich mittlerweile per E-Mail gemeldet. Die Polizisten hätten ihn weder wie einen anständigen Menschen behandelt, noch ihm den Grund der Abschiebung genannt, schrieb er seinen Helfern in Grafrath.

Pia Schmahl, die Sprecherin des Landratsamtes Fürstenfeldbruck, weiß den Grund für die Abschiebung: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg kann dem 22-Jährigen nachweisen, dass er über Polen nach Deutschland gekommen ist. Laut Dublin-II-Abkommen wird der Flüchtling deshalb in das Land abgeschoben, in dem er erstmals EU-Boden betreten hat. Im Falle des jungen Mannes aus Syrien ist das eben Polen. Fady D. kann nun dort einen Asylantrag stellen. Die Zeit, bis über seinen Antrag entschieden wird, muss er nicht in einer Zelle verbringen; der 22-Jährige darf bei seinem Bruder wohnen, der in Polen lebt.

Möglicherweise kann er auch von dort aus einen Asylantrag in Deutschland stellen. Jedenfalls habe er das Recht, gegen die Abschiebung Widerspruch einzulegen, sagte Landrat Thomas Karmasin (CSU). Der junge Syrer befürchtet etwas anderes. Der Bescheid über die Ausweisung stammt laut Fady D. vom 21. Januar und die Frist beträgt 14 Tage. Sie war also am Montag bereits abgelaufen, als ihm die Polizei das Schreiben vorlegte.

Karmasin ist dagegen der Ansicht, die Frist beginne erst mit dem Tag der Ausweisung. Schließlich ist es nach seinen Worten üblich, dass die betroffenen Asylsuchenden den Bescheid über eine Ausweisung nicht vor dem Tag der Abschiebung bekommen. Grund dafür sei wohl die Befürchtung, die Asylsuchenden könnten untertauchen, sagte der Landrat.

Nach Polen werden momentan viele Asylsuchende zurückgeschickt. Nach Information der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" waren es im Jahr 2011 über 1000 Personen, denen das Bundesamt für Migration eine Einreise aus Polen nachweisen konnten. Damit nimmt das östliche Nachbarland die drittmeisten Flüchtlinge auf, die Deutschland im Rahmen von Dublin II abschiebt. Nur nach Italien und Schweden werden mehr Asylsuchende zurückgeschickt.

Fady D. gehört wie seine Eltern und seine Brüder der christlichen Minderheit in Syrien an. Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges sind die Christen besonders bedroht. Glammert-Zwölfer sagte, die Familie sei geflohen, weil sowohl Regierungssoldaten als auch Rebellen den Vater zwingen wollten, sie zu unterstützen. Damit aber hätte der Vater seine Familie der Rache der anderen Seite ausgesetzt.

Nach Auskunft von Mosandl suchte die Familie den Anschluss an die Pfarrgemeinde: "Eltern und Kinder waren regelmäßig in der Kirche." Die Pfarrei will den Eltern nun die Kosten für einen Anwalt bezahlen, damit sie von einer Abschiebung nicht ebenso überrascht wird wie der Sohn.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2013
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