Süddeutsche Zeitung

SZ im Dialog - Was Eichenau bewegt:Immer für andere da sein

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Nachbarschaftshilfe und Pflegeverein sind zu mittelständischen Firmen herangewachsen. Doch die Vorstände können die Aufgaben kaum noch bewältigen. Zudem sind immer weniger Menschen bereit, nur für ein Dankeschön freiwillig zu helfen

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Den anderen zu helfen, egal, welcher Religion er angehört, ob er viel oder wenig Geld hat, das haben sich in Eichenau soziale Vereine zur Aufgabe gemacht. Seit Jahrzehnten sind die Arbeiterwohlfahrt, der Kranken- und Altenpflegeverein, die Nachbarschaftshilfe und nicht zuletzt der Sozialverband VdK für die Eichenauer da, um sie zu pflegen und zu beraten. Doch die ausschließlich ehrenamtlich geführten Vereine geraten bald selbst in Not. Denn die immer strikter werdenden Vorschriften zwingen die Vorstände, persönlich zu haften, wenn etwas wirtschaftlich schiefläuft. Das wird, wie etwa beim Kranken- und Altenpflegeverein und bei der Nachbarschaftshilfe dazu führen, dass sich die Rechtsform bald ändern wird - und mit ihr möglicherweise auch das Angebot.

Dirk Flechsig ist IT-Unternehmer, Manfred Boß und Michael Brandstetter sind schon Pensionäre. Die drei führen die Nachbarschaftshilfe, haben die Aufgabengebiete unter sich aufgeteilt. Flechsig ist für den Bereich der Kinderbetreuung zuständig, Boß erledigt alles rund um die hauswirtschaftlichen Leistungen und die Fahrdienste, und Brandstetter ist für Personal und Finanzen zuständig. Als Vorstand würden sie aber mit ihrem persönlichen Vermögen für den Wirtschaftsbetrieb mit einem Jahresumsatz von 1,2 Millionen Euro haften. Zwar hat der seit 1971 existierende Verein Versicherungen für seinen Vorstand abgeschlossen, doch ist diese Konstruktion für die Vorstandsmitglieder nicht mehr hinnehmbar.

In einer Klausurtagung haben die führenden Köpfe unlängst über die Zukunft der Nachbarschaftshilfe gesprochen. Mit dem Ergebnis, dass alles darauf hinausläuft, eine gemeinnützige GmbH zu gründen, also eine Firma ohne Gewinnerzielungsabsicht.

An dem Punkt, an dem es nicht mehr vertretbar erscheint, einen wirtschaftlichen Pflegebetrieb mit unbezahlten Ehrenamtlern zu führen, ist der Kranken- und Altenpflegeverein (KAV) schon vor drei Jahren angekommen und lässt sich seither vom Caritaszentrum Fürstenfeldbruck helfen. "Ab einem gewissen Grad können es Ehrenamtliche nicht mehr", stellt der Zweite Vorsitzende Ignaz Fischer-Kerli fest. Abgegeben hat man deshalb 2013 die Personal- und Geschäftsführung nach Fürstenfeldbruck, und weil die Erfahrungen positiv seien, werde man die Gesamtverantwortung wohl an die Caritas abgeben. Aus dem in Eichenau vor 56 Jahren gegründeten Hilfeverein wird dann ein Förderverein werden. Momentan werden 30 Mitarbeiter in der Krankenpflege beschäftigt - mit völlig unterschiedlichen Arbeitsverträgen, wie Fischer-Kerli sagt. Die Trägerschaft für die Seniorenbegegnungsstätte, in der Monat für Monat etwa 860 ältere Menschen zusammenkommen und ein niveauvolles Programm angeboten bekommen, soll beim Verein bleiben. Aufgaben abzugeben, hat aber auch beim KAV nicht nur etwas mit der zunehmenden Verantwortung für die Ehrenamtlichen zu tun, es mangelt auch an Menschen, die diese Aufgaben übernehmen müssten, sich stunden- oder tageweise engagieren könnten.

Zwar ist ein Teil des Personals nicht mehr jung, wenn es neu bei der Nachbarschaftshilfe anfängt, aber der "Nachwuchs" speist sich aus den Rentnern, die eine Möglichkeit sehen, eine soziale Beschäftigung mit einer kleinen Aufbesserung ihrer Rente zu kombinieren. Da sind zum Beispiel die Fahrer, die mittags die 350 in der Küche der Nachbarschaftshilfe frisch gekochten Mahlzeiten zu den Kindertagesstätten bringen oder die 35 für Senioren zubereiteten "Essen auf Rädern" ausliefern. Sie sind auch in der mobilen Begleitung dabei, wenn ältere Menschen zum Beispiel zum Arzt gebracht werden wollen. Im Unterschied zum Taxifahrer, der sich ausschließlich um die Fahrten kümmern würden, begleiten die Fahrer der Nachbarschaftshilfe ihre Fahrgäste zum Arzt, in die Apotheke oder zum Einkaufen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Mitarbeiter der Nachbarschaftshilfe in der Altersklasse "Ü 60".

Die Nachbarschaftshilfe wie auch die anderen sozialen Vereine leiden auch an den Folgen des gesellschaftlichen Wandels. Waren zum Beispiel in den Siebzigerjahren noch mehr junge Frauen und Mütter in ehrenamtlichen Gruppen aktiv, so fehlen sie in der Zwischenzeit, wie Barbara Friebe bei der Nachbarschaftshilfe festgestellt hat. Mütter würden heute eher in den Beruf zurückkehren, als zu Hause zu bleiben, sich um die Kinder zu kümmern und nebenbei sich sozial zu engagieren. Was fehlt, sind auch die früher ständig verfügbaren Zivildienstleistenden. Seit die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, gibt es kaum mehr Stellen. Einzig für die Arbeiterwohlfahrt hat Vorsitzender Michael Gumtau zwei Stellen bekommen können. Aber nicht aus dem regulären Programm, sondern aus dem Sonderprogramm für Asylbewerber. Die "Bufdis" der Awo helfen nun beim Asylhelferkreis mit, sollen für Geflüchtete wie Betreuer Ansprechpartner und Übersetzer sein sowie Grundwissen über Deutschland vermitteln.

Noch sind die sozialen Vereine handlungsfähig, sie stehen ja auch wirtschaftlich gut da. Doch die Erfahrung, dass es ohne eine professionelle Geschäftsführung nicht mehr geht, das Personal und die Beträge zu verantworten, geht bei den Ehrenamtlichen einher mit der Erkenntnis, dass es nicht mehr viele in Eichenau gibt, die es sich vor allem zeitlich leisten können, etwas von sich an andere weiterzugeben und sich sozial zu engagieren.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2016
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