Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Mustafa will Politiker werden

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Der junge Somalier lebt im Alveni-Jugendhaus der Caritas in Fürstenfeldbruck. Er strahlt Optimismus aus, lässt sich das Grundgesetz erläutern und möchte nach einer Lehre studieren. Der Adventskalender will helfen, dass die Integrationen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge gelingt

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Der größte Wunsch von Mustafa Saed Dama aus Somalia ist, einmal Bundeskanzlerin Angela Merkel zu treffen. Deutsche Jugendliche in seinem Alter haben sicher andere Herzenswünsche, insbesondere jetzt in der Vorweihnachtszeit. Aber eigentlich unterschiedet sich der siebzehn Jahre alte Mustafa nicht wirklich von deutschen Heranwachsenden in seinem Alter. Er spielt auch leidenschaftlich gerne Fußball, was er in einem Maisacher Verein tut, der ihm schon einen Spielerpass ausstellte. Er hört gerne Musik, am liebsten Sido. Und er joggt, fährt Rad, nimmt Schwimmunterricht und liest gerne. Seine Lektüre wiederum ist nicht unbedingt jugendtypisch.

So ließ sich Mustafa kürzlich zwei Stunden lang von einer Asylhelferin im Deutschnachhilfe-Unterricht die ersten zwölf Artikel des Grundgesetzes erläutern. Das Grundgesetz hatte sich Mustafa vorher selbst besorgt und darin bereits geschmökert. Das ist eine schwere Kost für jemanden, der erst seit einigen Monaten hier lebt und noch Deutsch lernt. Für die Asylhelferin waren das zwei anstrengende Stunden, für Mustafa nicht. Er ist nämlich begierig auf alles, was ihm hilft, seine neue Heimat besser zu verstehen. Und das Grundgesetz gibt die Grundwerte vor, die für das Zusammenleben hier wichtig sind. Der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung will einen Beitrag dazu leisten, dass junge Flüchtlinge wie Mustafa ihre Chance im Landkreis Fürstenfeldbruck nutzen können. Dazu will er ein Musikprojekt und weitere Aktivitäten fördern.

Der 17-Jährige Mustafa identifiziert sich sehr mit seiner neue Heimat. So ist er stolzer Besitzer einer Deutschlandfahne, einer bayerischen Fahne und sogar noch einer Fahne der Stadt Fürstenfeldbruck. Für einen minderjährigen Flüchtling aus Afrika, der erst seit Mai im Alveni-Jugendhaus der Caritas in Fürstenfeldbruck lebt, ist das durchaus ungewöhnlich. Aber Mustafa ist intelligent, das merkt man daran, wie schnell er Deutsch gelernt hat, wie gut er sich ausdrückt und wie genau er es mit den Dingen nimmt, die er anpackt. Seine größte Herausforderung besteht im Moment darin, die Deutschen und ihr Land zu verstehen. Schließlich will er hier später selbst wie ein Einheimischer leben.

"Ich träume davon ein Deutscher zu werden", hat er sich vor dem Gespräch mit dem Journalisten neben anderen Dingen sorgfältig auf einem Zettel notiert. Er hat sich vorbereitet und überlegt, was wichtig sein könnte. Mustafa möchte nicht nur ein Deutscher werden, sondern ein möglichst perfekter. Einer, der alles richtig macht und sich an die Regeln hält. Um hier bleiben zu können, strengt er sich gewaltig an. Obwohl er noch die Förderklasse der Berufsschule besucht, weiß er schon ganz genau, wie es weitergehen soll.

Zuerst will er den Quali schaffen, danach eine kaufmännische Lehre absolvieren, um dann auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur zu machen. Mustafa weiß auch schon was er später mal studieren will: Politikwissenschaft - um Berater oder selbst Politiker zu werden. Ob das mit dem Politiker auch klappt, bezweifelt der übers ganze Gesicht strahlende kräftig Jugendliche ein wenig. Schließlich weiß er nicht, ob so etwas für einen Muslim wie ihn in einem christlich geprägten Land überhaupt möglich ist. Der Hinweis, dass Muslime auch in Deutschland Politiker werden können, beruhigt ihn. Über ein Praktikum im Brucker Rathaus und einen Besuch des bayerischen Landtags in München würde sich der junge Mann sehr freuen.

Auch daher die ausführliche Beschäftigung mit dem Grundgesetz, an dem den Afrikaner vor allem die Freiheit in ihren verschiedenen Facetten fasziniert, beispielsweise die Meinungsfreiheit. Dass hier Menschen frei und gleich sind und zudem noch sagen können, was sie wollen, begeistert ihn. So etwas kennt er aus seiner Heimat nicht. Zur Freiheit, so viel hat er schon gelernt, gehört auch die Gewaltfreiheit, niemand darf andere schlagen. "Jeder darf ein Mensch sein", wie es Mustafa mit seinen Worten ausdrückt. Mit Somalia verbindet er dagegen Angst, Blut, Terror und Terroristen - und höchstens noch den Albtraum, als Terrorist zwangsrekrutiert zu werden. Weshalb er die Beschwernisse einer langen Flucht auf sich nahm, bei der sein Onkel ums Leben kam.

Mehr als das, will er von der sieben Monate dauernden Flucht durch Afrika und dann übers Mittelmeer nach Deutschland nicht preisgeben. Schließlich geht es um eine neue Zukunft, nicht um die Leiden und Schrecken der Vergangenheit. Deutschland verkörpert für ihn das Gegenmodell von Somalia. Es steht für Freiheit - und Angela Merkel ist die Politikerin, die für Mustafa diese Freiheit symbolisiert. Wohl deshalb schmückte er sein Zimmer zuerst mit Fotos von Merkel.

Die intensive Beschäftigung mit dem Grundgesetz mag aber auch erklärten, wie ernst es der junge Somalier mit dem Projekt Deutschland nimmt. Ihm genügt es nicht, nur in perfektem Deutsch zu sagen: "Ich fühle mich hier wohl." Mustafa will genau wissen, wie das Land organisiert ist, wie man hier lebt und welche Regeln er, wenn er sich integrieren will, einzuhalten hat. Eine der Broschüren, die er aus seinem Zimmer holt, hat den Titel: "Die politische Ordnung in Deutschland". Zumindest Tugenden wie Pünktlichkeit, Ordnung oder Sauberkeit, die als deutsch gelten, muss der junge Flüchtling nicht mehr lernen. Auch wenn Jutta Hindelang, die zurzeit das Alveni-Haus leitet, es nicht ausdrücklich sagt, ist Mustafa wohl so etwas wie ein Vorzeigejugendlicher unter ihren 30 Flüchtlingen.

Kein Wunder dass der 17-Jährige einfach alles nur "gut" und "toll" findet, was er hier erlebt: die Menschen, denen er begegnet, die Stadt Fürstenfeldbruck, die Mitbewohner, Fürstenfeld mit seiner spätbarocken Pracht, das Rathaus, das Brucker Schwimmbad, die Berufsschule, die er besucht, die Lehrer und selbstverständlich auch die Betreuer im Alveni-Haus. Einfach alles ist aus seiner Sicht gut. Wenn er das sagt, strahlt Mustafa Zuversicht und Optimismus aus. Er versteht es, fast jede Aussage mit einem gewinnenden Lächeln zu beenden. Und er stammt vermutlich aus einer Familie, in der er eine sehr gute Erziehung bekam. Sonst wäre er nicht so ausgesprochen höflich und gewinnend. Dazu passt, dass er gerne putzt und sogar größten Wert darauf legt, dass die Teller in der Küche ja ordentlich abgespült werden, wie eine Betreuerin berichtet. Mustafa Saed Dama nimmt man es ab, wenn er beteuert, hier glücklich zu sein, auch wenn er sich in Fürstenfeldbruck ohne seine Familie und ohne seine sieben Geschwister manchmal einsam fühlt.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2015
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