Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:In der "Brücke" gestrandet

Lesezeit: 4 min

Matteo Donatini war als Matrose auf der ganzen Welt unterwegs. Nun lebt er in Puchheim in einer Unterkunft für Obdachlose. Insgesamt 35 Menschen hat die Stadt untergebracht. Dringend notwendig wäre eine neue Küche

Von Ingrid Hügenell, Puchheim

Menschen ohne Wohnung bringt die Stadt Puchheim in mehreren Unterkünften unter, die in der Stadt verteilt sind, unter anderem in der "Brücke". Das etwa hundert Jahre alte Haus in der Lagerstraße war früher ein Café mit Pension. "Deshalb haben die Zimmer alle Nummern an der Tür", erklärt Volker Buschmann, Sachbearbeiter und Objektbetreuer vom Amt für Soziales der Stadt Puchheim. In sieben Zimmern können bis zu 14 Menschen untergebracht werden. Das Haus ist in die Jahre gekommen. In der kleinen Küche im ersten Stock steht zwar ein ziemlich neuer Herd, aber die Küchenschränke sind alt, abgenutzt und sehen aus, als könnten sie jederzeit auseinander fallen. Buschmann wünscht sich für diese kleine Küche vom Adventskalender der SZ einige neue Möbel. Küche und Duschen im Erdgeschoß wurden bereits teils in Eigenleistung renoviert und mit gespendeten oder Second-Hand-Möbeln ausgestattet.

Die Zimmer haben eine Standardausstattung mit einem Bettgestell aus Metall, einem kleinen Schrank, einem Tisch und Stühlen sowie einem Waschbecken. Für Menschen, die mit sehr wenig Besitz in die "Brücke" oder eine andere Unterkunft kommen, hat die Stadt einen Topf, aus dem das Allernötigste bezahlt werden kann, Lebensmittel, Kleidungsstücke oder Hygieneartikel wie Zahnpasta oder Duschgel. Auch diesen Topf würde der Adventskalender gerne etwas auffüllen.

Momentan sind nicht alle Zimmer besetzt in der "Brücke", die Lage der Obdachlosigkeit hat sich entspannt in Puchheim, worüber Buschmann sehr froh ist. 35 Menschen, die sonst keine Bleibe hätten, hatte die Stadt laut einem Bericht von Sozialamtsleiter Martin Kulzinger im Juli untergebracht. Neun Menschen leben derzeit in der "Brücke". In einem Raum im Erdgeschoß wohnt Matteo Donatini. Er sei so etwas wie die gute Seele des Hauses, sagt Buschmann. Der 59-Jährige Donatini war als Matrose auf der ganzen Welt unterwegs, in Mexiko und Panama, auf den Philippinen, in Indonesien und Australien. Seit einem Jahr und vier Monaten hat er das Zimmer in der Brücke, er rechnet noch mal nach, ob das stimmt, und seither sei es dort blitzsauber, sagt Buschmann.

Wenn man das Haus betritt, riecht es nach dem Essig, den Donatini zum Putzen benutzt. In der Küche hat er den Tisch schön gedeckt mit Clementinen, Äpfeln und Keksen. Auf einem großen, gespendeten Kühlschrank steht ein kleiner Tannenbaum.

In einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Italienisch erzählt der schmale Mann mit den weißen Haaren von seinem Leben: Von seiner Geburt in einer Kirche im süditalienischen Bari, davon, dass er nur sieben Jahre in die Schule gegangen ist und mit 15 Matrose wurde. Zur Hippie-Zeit verbrachte er einige Monate oder vielleicht auch Jahre in Mexiko, "da habe ich viele interessante Leute kennen gelernt". Bis 26 sei er so unterwegs gewesen, auf den Schiffen arbeitete er als Matrose, dann lebte er eine Zeitlang im jeweiligen Land. Schließlich lernte Donatini in München eine Frau kennen, sie heirateten, er fand Arbeit, erst in einem Sägewerk, dann in einem Glaswerk im Landkreis.

Sie bekamen zwei Söhne, aber es gab auch Probleme. Donatini glaubte, schlechte Energien zu spüren, die das Leben seiner Familie bedrohten. Also schickte er seine Frau zu ihrer Mutter zurück. 16 Jahre lang habe er in Finnland mit einer anderen Frau zusammengelebt, erzählt er. Dann sei er zurück gekommen, weil es einem seiner Söhne schlecht gegangen sei. Er fand Arbeit in einer Bäckerei, rutschte dann aber in die Obdachlosigkeit. Sein Sohn habe die Miete nicht mehr bezahlt, sagt er. Die Arbeit in der Bäckerei verlor er. Jetzt, in der Corona-Zeit, sind die Chancen für ihn denkbar schlecht, wieder Arbeit zu finden. Zudem hat Donatini Rheuma und kann wegen einer Nervenverletzung am Arm die Finger der linken Hand nicht richtig bewegen. Dennoch arbeitet er als Minijobber beim Malteser Hilfsdienst und hält den Garten der Unterkunft in Ordnung, im Sommer hat er dort Tomaten gezogen. "Matteo braucht einen Job und eine Wohnung", sagt Buschmann, die Miete würde das Jobcenter übernehmen. Vom Adventskalender brauche er nichts, sagt Donatini erst. Auf Nachfrage gibt er zu, dass ein Paar neue Halbschuhe vielleicht doch ganz sinnvoll wären.

Die Ursachen, aus denen jemand seine Wohnung verliert, kennt Buschmann gut. Oft trifft es Selbständige, die beispielsweise wegen einer Erkrankung pleite gehen und keine Rentenansprüche haben. Dann sind häufig auch der Partner,die Wohnung und die Krankenversicherung weg. Viele haben psychische Erkrankungen, häufig gibt es zusätzlich eine Suchtproblematik, die Menschen sind oft arbeitsunfähig. "Eigentlich mache ich hier aufsuchende Sozialarbeit", sagt Buschmann und lacht kurz auf. Von Haus aus ist er Immobilienkaufmann, einige Jahre war er Soldat. Ende Dezember wird er 60. Dass er als Kind vier Jahre in Kairo lebte, weil sein Vater als Ingenieur am Assuan-Staudamm mitbaute, und er deshalb etwas Arabisch spricht, hilft ihm bei manchen Klienten.

Die Bundeswehr hat der Stadt für die Wohnungslosenhilfe 25 große, ausrangierte Kühlschränke mit absperrbaren Fächern und 30 "hochmassive" Einzelbetten gespendet, worüber Buschmann sehr froh ist. Einige stehen in noch unbewohnten Zimmern in der neuen Unterkunft an der Schwarzäckerstraße, wo Buschmann auch Bettzeug und Ähnliches für Notfälle lagert. Immer wieder verlieren auch Familien mit vielen Kindern ihre Wohnung, viele kommen zu spät zum Sozialamt, nämlich erst, wenn die Mietschulden schon aufgelaufen sind und die Räumungsklage läuft. Dann ist es in der Metropolregion München nahezu unmöglich, eine bezahlbaren Wohnung zu finden. Manchmal aber glückt es. Für eine sechsköpfige Familie konnte Buschmann eine Wohnung in Puchheim selbst finden. Zwei fünfköpfigen Familien vermittelte die Stadt Wohnungen im Bayerischen Wald und im Fichtelgebirge, eine siebenköpfige Familie zog nach Ingolstadt um. Denn dort seien die Mietpreise viel niedriger als rund um München. "Die Leute müssen aber auch bereit sein, wegzugehen", sagt Buschmann. Bei diesen drei Familien habe der Umzug gut geklappt. "Die haben Fuß gefasst, Arbeit gefunden, die Kinder gehen in die Schule."

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Quelle:
SZ vom 19.12.2020
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