Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Die Töchter wünschen sich Fahrräder

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Sarah Husseini ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Mit der Trennung von ihrem Mann hat sie Wohnung und finanzielle Sicherheit verloren

Von Ingrid Hügenell, Puchheim

Als ihre jüngste Tochter wenige Wochen und die nächst ältere ein gutes Jahr alt war, ist die Ehe von Sarah Husseini (Name geändert) zu Bruch gegangen. "Es gab Probleme und Streit, das war nicht gut für die Kinder", sagt Husseini, 45. Durch die Trennung haben die Mutter und ihre insgesamt vier Kinder ihre Wohnung verloren. Seither kümmert sich die Stadt Puchheim darum, dass die Familie ein Dach über dem Kopf hat. Acht Jahre ist das jetzt her. Heuer im Mai hat sich die Situation der Husseinis erheblich verbessert, sie leben seither in der Unterkunft der Puchheimer städtischen Wohnraumentwicklungsgesellschaft WEP an der Schwarzäckerstraße. Damit die Töchter beweglicher sind und einfacher in die Schule fahren können, wünschen sie sich Fahrräder. Der Sohn, mit 16 der älteste der vier, hat schon eines. Er brauche aber neue Sportschuhe, sagt seine Mutter. Der Adventskalender für Gute Werke der Süddeutschen Zeitung möchte die Familie bei der Anschaffung unterstützen.

Die WEP hat an der Schwarzäckerstraße am nördlichen Rand von Puchheim-Ort vier Wohngebäude errichtet, die im März dieses Jahres fertig gestellt wurden. In zweien gibt es ganz normale Mietwohnungen. In zwei weiteren werden Menschen untergebracht, die sonst keine Wohnung finden würden. Die Fertighäuser in Holzbauweise sind nicht unterkellert. Volker Buschmann, Immobilienkaufmann und in Puchheim als Sachbearbeiter für Obdachlose zuständig, kritisiert, dass sie nicht barrierefrei sind. Denn die Höfe wurden mit Schotter verfüllt, den man mit einem Rollstuhl nicht befahren kann.

Familie Husseini aber fühlt sich sehr wohl dort. Die neue Wohnung ist größer und vor allem viel ruhiger als die Drei-Zimmer-Wohnung an der Adenauerstraße, in der die Familie zuvor untergebracht war. Allerdings fehlen noch Möbel, Schränke und Regale, nach und nach können sie mit Unterstützung des Jobcenters angeschafft werden. Die Mutter hat kein eigenes Bett, sie schläft auf einer Matratze im Zimmer der beiden jüngeren Töchter, acht und neun Jahre sind sie alt. Im Januar komme ein Sofa für die Wohnküche, sagt sie, dort werde sie dann schlafen. Ihr sei wichtiger, dass die 14-jährige Tochter und der Sohn eigene Zimmer haben.

Sarah Husseini ist eigentlich Grundschullehrerin. Sie stammt aus dem Irak, aus Bagdad. Die Eltern haben die Ehe mit ihrem Ex-Mann arrangiert, der schon in Deutschland lebte. Als sie sich scheiden ließ, hätten die Eltern drei Jahre nicht mit ihr gesprochen, berichtet Husseini.

Die künftigen Ehegatten hatten sich noch nie gesehen, als Sarah hier ankam, sie sprach kein Deutsch. Deshalb habe sie auch nicht gewusst, was für Auswirkungen es haben würde, als sie mit ihrem Mann einen Kredit über 40 000 Euro unterschrieb, sagt sie.

Nun hat sie einen Schufa-Eintrag, der es ihr selbst dann praktisch unmöglich machen würde, eine Wohnung zu finden, wenn sie nicht auch noch vier Kinder hätte. Inzwischen kann Husseini sich gut verständigen, die Kinder sprechen perfekt Deutsch, wie Buschmann bestätigt. Der Sachbearbeiter betreut die Familie und kennt sie gut. Arabisch verstünden die Kinder zwar, sie sprächen es aber kaum, erzählt die Mutter. Zurück in den Irak wollen sie nicht, Sarah Husseini will kein Kopftuch mehr tragen und sich nicht den Dogmen und Zwängen dort unterwerfen.

Die lebhafte Frau mit den langen schwarzen Haaren wirkt jünger als sie ist. Sie lacht viel, wenn sie erzählt, von ihrer Arbeit im Baumarkt beispielsweise. Hinter dem Lachen versteckt sie viele Sorgen, etwa die, dass sie kein Geld mehr verdient, seit der Baumarkt wegen des erneuten Lockdowns schließen musste. Denn sie ist dort nur stundenweise beschäftigt

Sorgen macht ihr auch der 16-Jährige. Immer sei er bisher gut in der Schule gewesen, sagt Sarah Husseini, habe nur Einser und Zweier gehabt. Aber in diesem Jahr habe er stark nachgelassen. Vermutlich durch die coronabedingten Schulschließungen. Der Bub sitzt nun viel vor dem Computer, die Noten haben sich stark verschlechtert, und das ausgerechnet, wo er im kommenden Jahr seine Mittlere Reife auf dem M-Zug der Mittelschule machen soll.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2020
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