Süddeutsche Zeitung

Vogelschutz:Ein Stall für Schwalben

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Die Gebäudebrüter unter den Vögeln haben ein Problem: Sie finden kaum mehr Nistplätze. In einem Offenstall in Alling ist das anders. Der wurde nun vom LBV ausgezeichnet.

Von Heike A. Batzer, Alling

Der Zugang steht immer offen. Blitzschnell fliegt die Schwalbe hinein, dreht eine kleine Runde und fliegt wieder hinaus. Dann kommt sie wieder. Setzt sich auf ein Elektrokabel, das zu einer Lampe führt. Und bleibt da erst einmal sitzen. Die Schwalben haben eine Heimat gefunden im Pferdestall am Rande der Gemeinde Alling. Eine Heimat für die Aufzucht ihrer Jungen. Dass sie das in Ställen tun, war früher üblich. Doch weil es nicht mehr genügend Ställe gibt und Nester anderswo an Hauswänden oft nicht toleriert werden, haben die Schwalben mittlerweile ein veritables Problem, Unterkünfte für ihre Brut zu finden. Im Offenstall, den Christel Boente gepachtet hat, dürfen sie das.

Die Rauchschwalben, die sich bei Christel Boente einfinden, sind wendige und schnelle Flieger. Zu erkennen sind sie an der glänzend-blauschwarzen Färbung am Rücken, dem weißen Bauch und der braunroten Kehle und im Flug am tief gegabelten Schwanz. Schwalben galten vormals als Glücksbringer oder Wetterboten, mittlerweile werden Rauch- und die verwandten Mehlschwalben immer seltener. In Bayern stehen sie auf der Vorwarnliste der gefährdeten Arten.

Die Vögel finden eine Umwelt vor, in der es immer weniger Platz und Nahrung für sie gibt

Das haben sie nicht verdient, könnte man sagen, denn eigentlich suchen sie die Nähe zu den Menschen. Sie brüten in Ställen oder an den Außenwänden von Stallungen und Wohngebäuden. Doch nach Sanierungen und auch wegen gestiegener Hygieneanforderungen finden sie oftmals keinen Zugang zu den Ställen mehr oder können nicht mehr ins Innere der Gebäude gelangen, weiß man beim Landesbund für Vogelschutz (LBV). Und auch die Hausbesitzer schätzen die Untermieter wegen der möglichen Verschmutzung der Fassaden oft nicht. Außerdem finden die Vögel immer seltener feuchten Lehm für den Nestbau, weil immer mehr Flächen asphaltiert werden, und sie finden immer weniger Insekten - hauptsächlich Fliegen und Mücken - als Nahrung, weil es auch infolge intensiver Landnutzung immer weniger Insekten gibt. Die Naturschutzverbände haben die Mehlschwalbe schon 1974 zum "Vogel des Jahres" erklärt, fünf Jahre später folgte die Rauchschwalbe und 1983 die Uferschwalbe.

"Der Abwärtstrend der Gebäudebrüter ist auch bei uns im Landkreis zu beobachten", sagt Simon Weigl, Geschäftsstellenleiter der LBV-Kreisgruppe Fürstenfeldbruck: "Meiner subjektiven Wahrnehmung nach ist der Trend sogar stärker als im deutschlandweiten Mittel." Weigl zählt auf: die Aufgabe kleinerer Höfe mit Viehhaltung, die energetische Gebäudesanierung mit Abriss und Neubau, die zunehmende Versiegelung und die Intensivierung der Landwirtschaft - all das führe zu Verlusten von Brutplätzen.

Schwalben teilen das Schicksal mit anderen Gebäudebrütern wie Mauerseglern oder Spatzen. Auch ihnen kommen die Wohnungen abhanden, weil die dafür verwendbaren Hohlräume unter Dächern oder Mauerritzen bewusst geschlossen werden. Dabei stehen die Gebäudebrüter unter dem besonderen Schutz des Bundesnaturschutzgesetzes. Auch ihre Nester sind geschützt und deren Zerstörung zu jeder Jahreszeit untersagt. Denn die Vögel wollen ihre Nester im nächsten Jahr wiederverwenden. 2018 initiierte Weigl ein LBV-Projekt im Landkreis Fürstenfeldbruck, das zum Ziel hat, bekannte Quartiere von Gebäudebrütern zu kartieren. Bis Dezember 2021 wurden etwa 650 Brutplätze gemeldet, darunter 86 von Rauch- und 147 von Mehlschwalben.

Die Untermieter sind standorttreu und kommen jedes Jahr wieder

Für Christel Boente, die in Lochhausen wohnt, ist das Zusammenleben ihrer Pferde mit den Schwalben selbstverständlich. "Ich versuche generell sehr naturnah zu leben", sagt sie. Ihre vier Pferde sind als Herde ganzjährig draußen. Im Offenstall können sie sich unterstellen. Darin haben auch die Schwalben die Möglichkeit, "wann sie wollen, aus- und einzufliegen", sagt Manfred Ullmer von der LBV-Kreisgruppe Fürstenfeldbruck. Für Boente ist diese Art der Haltung ohnehin keine Frage: "Ich könnte kein Pferd in einer Box ertragen."

Dass die Vögel Zugang zu den Stallungen haben, akzeptiert sie nicht nur, sondern sie fördert es auch. Zwölf Jahre ist es her, dass erstmals ein Schwalbenpaar auftauchte. LBV-Mitglied Boente brachte eine Nisthilfe an, die wurde sogleich angenommen. Danach kamen immer mehr Schwalben. Das erste Nest, das ein Paar selbst gebaut hat, entstand über einer Stalllampe. Und die Untermieter kommen jedes Jahr wieder. Schwalben sind standorttreu. Sie schätzen halbdunkle, windgeschützte Brutplätze in einer Höhe von etwa von zwei Metern. Acht bis zehn Nester waren es im Stall von Christel Boente in der diesjährigen Brutsaison.

Der Offenstall am Allinger Weinberg hat zwei Hälften, eine davon hat Boentes Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gepachtet. Aber auch in der anderen Hälfte sind die Vögel willkommen. Von der Fürstenfeldbrucker Kreisgruppe des LBV bekam sie jetzt die Plakette " Hier sind Schwalben willkommen - schwalbenfreundliches Haus" verliehen. Simon Weigl vermutet, dass es weitere Ställe im Landkreis gibt, "die diese Plakette verdient hätten". Das Verfahren läuft so: Man bewirbt sich darum, Fachleute prüfen, ob der Standort die Bedingungen erfüllt, um als "schwalbenfreundliches Haus" zu gelten.

Auch den Pferden nutzt die Anwesenheit der Schwalben: Die Vögel brauchen Insekten als Nahrung und halten sie so von den Vierbeinern fern. "Wenn die Schwalben kommen, dann ist der Sommer in Sicht", weiß Boente. Und es sind für sie auch Kindheitserinnerungen. Umgekehrt gilt: "Wenn die Schwalben gehen, dann ist der Abschied von der warmen Zeit und der Helligkeit nahe."

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