Süddeutsche Zeitung

Schicksal:Auf Wohnungssuche

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An Heiligabend können Obdachlose im Kap, einer Einrichtung der Caritas, feiern. Auch Nicole Schuster und ihr Freund finden dort einige Stunden lang Wärme, gutes Essen und Gemeinschaft

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

An Weihnachten möchten die meisten Menschen zuhause bei ihrer Familie sein. Manche können das nicht, weil sie arbeiten müssen - in Krankenhäusern, als Bus- oder S-Bahnfahrer oder bei der Polizei zum Beispiel. Andere haben keine Familie. Und manche haben nicht einmal ein Zuhause. Sie können an Heiligabend in Fürstenfeldbruck ins Kap kommen. In der Einrichtung der Caritas für Menschen ohne Wohnung werden heuer auch Nicole Schuster und ihr Lebensgefährte Daniel Halter Weihnachten feiern. Die beiden sind obdachlos und leben zur Zeit in einem Zelt. Ihr Weihnachtswunsch: eine Wohnung, und dass sie zusammenbleiben dürfen.

Das Leben hat es nicht gut gemeint mit Nicole Schuster. "Es ist immer nur ein Kampf", sagt sie. Als sie vor gut 32 Jahren geboren wurde, waren beide Füße deformiert. Die Klumpfüße wurden zwar operiert, lange stehen oder gehen könne sie aber ohne Schmerzen nicht, sagt sie. Als sie ein Teenager war, kam es zum Zerwürfnis mit ihrem Stiefvater, sie zog aus. Eine Lehre als Landschaftsgärtnerin brach sie ab: "Ich wurde Mama." Auch privat lief es schlecht. "Mein Partner hat mich geschlagen", sagt sie. "Von da ab ging's bloß noch bergab." Gewalterfahrungen habe sie nicht nur mit Männern gemacht, Genaueres will sie nicht erzählen. Insgesamt hat sie drei Kinder, zwei leben bei Pflegeeltern, eines, das jüngste, ist bei der Großmutter untergebracht. Seit sie 16 ist, leidet sie unter Depressionen, die ihr oft heftig zusetzen. Dann hat sie das Gefühl, das Leben habe gar keinen Sinn.

Lange hatte Nicole Schuster eine eigene Wohnung. Doch als ihr wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, fand sie keine neue Bleibe - obwohl sie vorher Bescheid wusste und sich lange um eine Wohnung bemühte. Zu eng der Mietmarkt, zu teuer die meisten Wohnungen. Einige Zeit lebte sie in einer städtischen Unterkunft, kam dort aber nicht zurecht. In der jungen Frau hat sich auch eine Menge Wut angestaut, die es ihr manchmal schwer macht. So landete Nicole Schuster auf der Straße. Vor zweieinhalb Jahren traf sie Daniel Halter, 31, auch er ist obdachlos. Beide neigen rechten Ideen zu, wenn auch "nicht mehr so schlimm wie vor sechs oder sieben Jahren", sagt Schuster. Beide sind schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Wenn sie zu viel Stress haben, trinken sie.

Eigentlich wäre die Stadt Fürstenfeldbruck dafür zuständig, der jungen Frau ein Obdach in einer städtischen Unterkunft zu vermitteln. Doch ohne ihren Lebensgefährten will sie nirgends einziehen. Für Halter ist jedoch die Stadt Olching zuständig, denn er ist dort obdachlos geworden. Zusammen könnten sie nicht untergebracht werden. So sei die Gesetzeslage, bestätigt Doreen Höltl, die bei der Stadt für die sozialen Dienste zuständig ist. Für Obdachlose sei immer die Kommune zuständig, in der die Menschen obdachlos wurden. "Die Kommunen haben da keinen Ermessensspielraum", sagt sie. Olching und Fürstenfeldbruck seien aber in Kontakt, um dem Pärchen zu helfen.

Nicole Schuster habe es aber abgelehnt, in Fürstenfeldbruck untergebracht zu werden. Die junge Frau will unbedingt mit ihrem Freund zusammen bleiben, und er mit ihr. Zusammen gehe es ihnen besser. "Man könnte wo ansetzen, dass es für uns bergauf geht, aber es werden uns Brocken zwischen die Beine geworfen", sagt Schuster, die sich verzweifelt nach ein bisschen Ruhe sehnt. "Auf den Ämtern haben viele kein Herz. Ich möchte mich einfach mal zurücklehnen und sagen können, das Leben ist gut", sagt sie. Stattdessen kann man sie oft irgendwo draußen in Fürstenfeldbruck antreffen. "Die Rumlungerei hängt mir zum Hals raus", sagt Schuster. Sie bemerkt die abschätzigen Blicke der Passanten, meint, deren negative Gedanken lesen zu können. "Ich möchte einfach die Tür hinter mir zumachen können."

Stattdessen steht vermutlich ein Krankenhausaufenthalt an. Denn kürzlich hat ein Arzt festgestellt, dass Schusters Herz vergrößert ist. Es besteht der Verdacht, dass ihr Herzmuskel sich durch eine verschleppte Infektion entzündet hat - ein bedrohlicher Zustand. Zudem hat sie wohl seit der Geburt ein Loch in der Hinterwand des Herzens. Vor dem Krankenhaus und den Untersuchungen fürchtet sie sich, auch wegen ihrer psychischen Probleme, und in die Psychiatrie wolle sie schon gar nicht, sagt sie.

Ein kleiner Lichtblick ist das Kap. Im Erdgeschoß der Einrichtung in der Hasenheide gibt es Platz für acht Personen sowie zwei Notbetten, erklärt Heinrich Baumann, der bei der Caritas für Menschen ohne Wohnung zuständig ist. Obdachlose können dort vorübergehend unterkommen - aber nur sieben Tage pro Monat. Dort können sich die Menschen an Werktagen nachmittags auch in der Teestube aufhalten, duschen, ihre Wäsche waschen. Sie bekommen Beratung, etwa vom Sozialpädagogen Patrick Fissel, der im Kap ein Büro hat. Im ersten Stock können etwa 50 Menschen längerfristig untergebracht werden, die ihre Wohnung verloren haben und keine neue finden können.

Wer vorübergehend oder länger in der Notunterkunft aufgenommen wurde, wer im Landkreis auf der Straße lebt oder zufällig vorbeikommt, kann zur Weihnachtsfeier kommen. Armin Pschorn, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Caritas, bereitet Entenkeulen mit Blaukraut und Kartoffelknödeln zu, es gibt Musik vom Band und alkoholfreie Getränke. Der Christbaum wird mit Lametta und Kugeln geschmückt, ein Baumarkt hat ihn gestiftet. Pschorn hat für 35 Gäste eingekauft. Bei der Weihnachtsfeier werden auch Geschenke im Wert von je etwa 40 Euro verteilt. Die Menschen bekommen, was sie brauchen und sich über einen Wunschbaum gewünscht haben. Pschorn zählt auf: eine Jeans, Hundefutter, einen Parka. Ein Vater hat sich für seinen Sohn im Teenager-Alter ein Spiel gewünscht. Beide leben in der Notunterkunft der Stadt. Außerdem bekommt jeder ein Überraschungsgeschenk. Alles wurde gespendet. Einige Tage vor Weihnachten ist zudem eine Friseurin ins Kap gekommen und hat kostenlos Haare geschnitten. Auch Nicole Schuster und Daniel Halter haben so eine neue Frisur bekommen.

Warmes Essen gibt es auch am ersten und zweiten Feiertag: gebratene Hendl und Pizza. Die Feier an Heiligabend beginnt um 17 Uhr, schon um 16 Uhr öffnet Pschorn die Türen des Kap.

Nach der Feier, um 18.30 oder 19 Uhr, geht Pschorn nach Hause, er lebt alleine. Baumann feiert nicht im Kap, sondern mit Frau und Kindern. Fissel verbringt den Heiligabend mit Eltern und Geschwistern. Nicole Schuster und Daniel Halter werden nach der Feier zurück in ihr kaltes Zelt gehen und weiter auf eine gemeinsame Wohnung hoffen. Doreen Höltl hofft mit ihnen, dass sich ein Hausbesitzer findet, der an die beiden vermietet. Trotz aller Widrigkeiten ist die städtische Sozialberaterin sicher: "Die würden das hinbekommen."

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Quelle:
SZ vom 24.12.2018
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