Süddeutsche Zeitung

Fotografie:Poet der Bilder

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Der Schweizer René Groebli gehört zu den großen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Das Museum Fürstenfeldbruck widmet ihm nun eine beeindruckende Ausstellung.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Ein gutes Foto erzählt immer eine Geschichte. Es hält nicht einen Augenblick fest, sondern konzentriert in sich ein Davor und ein Danach, es bedient sich dreist der Erfahrungswelt des Betrachtenden, und das in einem Moment, in dem noch gar nicht klar ist, wer die Betrachtenden sein werden und wann sie aufeinander treffen. Ein echter Meister dieser Erzählform, die heute durch die Allanwesenheit des Smartphones zwar demokratisiert, allzu oft aber banalisiert wird, ist der 94-jährige Fotograf René Groebli. Das Museum Fürstenfeldbruck zeigt von diesem Freitag an in der Ausstellung "René Groebli. Early Work. Fotografien 1945-1955", im Kunsthaus schwarz-weiß eindrucksvolle Arbeiten aus dem Frühwerk des Schweizers.

Schon in der relativ kurzen Zeitspanne von zehn Jahren entwickelt der junge Groebli ein selten abwechslungsreiches Portfolio, sich auf einen Stil, eine Technik festlegen, das war und ist seine Sache nicht. Seine Arbeiten sprühen von spielerischer Neugier, von beständiger Offenheit für Neues und dem Willen, jedem Moment, den er erlebt, gerecht zu werden. Und so gibt es in seinen Arbeiten - und seinem Leben nur eine Konstante: Bewegung. Er bricht die Schule ab, um eine Fotografenlehre bei Theo Vono anzufangen, geht danach an die Kunstgewerbeschule in Zürich, bricht nach einem Semester ab. Zu starr die Strukturen, zu traditionell und eng die Lehre und die Weltsicht der Lehrenden. Bei Central Film in Zürich macht er eine Lehre als Kameramann, erhält er als erster Schweizer ein Diplom als für Dokumentarfilm. Schnell werden ihm auch die Auftragsarbeiten als Filmer zu eng, wieder bricht er aus, reist nach Paris, ins Zentrum der Kunstwelt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Später wird er ein eigenes Fotostudio eröffnen, zu den Pionieren des Farbfilms gehören, irgendwann die kommerzielle Fotografie aufgeben und sich wieder ganz der Kunst widmen.

Eines der frühesten Bilder, die in der Ausstellung zu sehen sind, ist "Der Fotograf - freihändig". Sie ist beispielhaft für Groeblis Arbeit. Viel ist drauf nicht zu sehen; und gleichzeitig doch alles. Im unteren Viertel der Aufnahme ein Fahrradlenker. Im Metall der Lampe spielen sich unscharf Bäume, vielleicht ist ein Haus erkennbar. Ansonsten ist das Bild dominiert vom grauen Asphalt der Straße. Unscharf ist er, der Betrachter ist mit dem Fotografen in Bewegung. Auch technisch ist die Aufnahme anspruchsvoller als es auf den ersten Blick wirkt. Wie der Titel sagt, muss der junge Groebli den Lenker loslassen, um seine Kamera einzustellen. Die Schärfe auf den Lenker, Blende und eine Verschlusszeit einstellen, die so lang ist, dass die Bewegung erkennbar ist. Dann abdrücken und dabei möglichst die Kamera still halten, damit der Lenker scharf bleibt.

Doch Groebli hat nicht nur die Bewegung fotografiert. Manchmal teilt er mit dem Betrachter auch das, was ihn selbst im Inneren bewegt. Beispielhaft dafür steht die Serie "Das Auge der Liebe" aus dem Jahr 1952. Es sind Aufnahmen der verspäteten Hochzeitsreise mit seiner Frau Rita. Geplant hatte Groebli, "persönliche Souvenir-Bilder" aufzunehmen, die Stimmung der französischen Hotels einzufangen, in denen das Paar untergekommen ist. Entstanden ist ein einmaliges und intimes fotografisches Liebesgedicht an seine Partnerin, das er 1954 als künstlerisches Essay veröffentlicht hat. Auch hier fangen die Bilder Bewegung ein: Rita, die auf einem Stuhl sitzend einen Strumpf anzieht, die als Silhouette im Bett liegt, während ein schmaler Lichtstrahl nur über ihren Arm fällt. Wer sich je gefragt hat, ob man Poesie auch mit einer Kamera schreiben kann, der findet bei Groebli die Antwort. Und sie lautet: Ja. Mindestens so berührend wie mit Worten.

Einen harten Kontrast zu diesen Aufnahmen bilden die Fotografien, die Groebli ein Jahr vor der Hochzeitsreise, 1951, als Reporter der Agentur Black Star während der Suezkrise bei der Schlacht in Ismailia gemacht hat. Sie zeigen Soldaten, die sich hinter Panzern verstecken, einen Verwundeten, der aus den Trümmern eines Hauses getragen wird. Und immer wieder den Tod. Zwei Gefallene vor einer zerstörten Hausmauer, am Bildrand liegt noch der Helm eines Soldaten. Ganz nah ist er am Geschehen, nimmt den Betrachter mit hinein in die Szenen. Auch hier entsteht eine - freilich ganz andere - Intimität. Noch heute, mehr als 70 Jahre später, hört man als Betrachter die Schüsse durch die Luft zischen, spürt die Angst, von der die verstörten Blicke der jungen Männer erzählen.

Groebli erzählt seine Geschichten gerne in Serien, setzt viele kleine Momente zu etwas Größerem zusammen. Dazu gehört auch die "Magie der Schiene" in der er als 22-Jähriger eine Zugfahrt von Paris nach Basel dokumentiert. Die Bilder strahlen eine Begeisterung für die Macht der Technik aus und haben zugleich mit dem vielen Rauch und, der den Bildraum teilt und den Blick lenkt etwas mythisches. Nicht weniger sehenswert die Serie "Landdienst". Als 19-Jähriger muss er während des Zweiten Weltkriegs einen in der Schweiz eingeführten Dienst auf einem Bauernhof arbeiten. Drei Wochen verbringt er dort und darf, dank der Offenheit des Bauern, die Zeit dort mit der Kamera dokumentieren. Entstanden sind wunderbare Aufnahmen, von der dramatisch inszenierten, von Spinnweben überzogenen Scheibe, bis zum Bild, das Groebli vom der Fläche der einfachen Transportkutsche der Familie über die Schulter des Sohnes aufgenommen hat, die Zügel lose haltend, den Rücken leicht gekrümmt.

Und dann sind da neben den experimentellen Lichtmalereien, noch die vielen Aufnahmen, in denen Groebli einfache Situationen auf der Straße festhält, etwa das Paar mit Kinderwagen, das durch das neblige London spaziert, die intimen Fotos aus einem Züricher Club, die die Stimmung der Nachkriegsjugend so unglaublich lebendig festhalten, die einmaligen Porträts von Größen wie Charlie Chaplin und Le Corbusier. Etwa 80 Aufnahmen haben die Kuratorinnen des Museums ausgewählt. Heraus gekommen ist eine Ausstellung, die nicht nur für Fotografieliebhaber ein nahezu unerschöpflicher Schatz ist.

Ausstellung "René Groebli. Early Work. Fotografien 1945 - 1955", Kunsthaus Museum Fürstenfeldbruck, zu sehen bis zum 24. April. Ein Band mit den Fotografien ist für 49 Euro im Museum erhältlich

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