Süddeutsche Zeitung

Puchheim:Der Solist mit dem Kurbelstativ

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Zuschauer direkt anzusprechen und in den virtuellen Bühnenraum zu holen - das gehört ebenso wie der Minimalismus zum Konzept der Nipple-Jesus-Inszenierung von Johannes Kalwas. Matthias Horbelt bewältigt die Premiere in der Alten Schule mit Bravour

Von Sonja Pawlowa, Puchheim

Bei der Premiere von "NippleJesus" am Donnerstag in der Alten Schule in Puchheim Ort ist der Minimalismus unübersehbar: ein karger Raum mit Wänden und Vorhängen in zartem Apricot, hell erleuchtet von stilbrechenden Neonlampen, die pinkfarbenen Stapelstühle sind zunächst noch leer. Das Stück "Nipple Jesus" von Nick Hornby eignet sich für minimalistische Inszenierungen. Erforderlich sind nur ein Schauspieler - und Zuschauer.

Nach und nach finden sich zum Glück zwölf Zuschauer ein, die den Weg durch den Sturm Friederike und den Starkregen gewagt haben. Mit dem Auftritt von Matthias Horbelt alias Dave verwandelt sich der Schmutz abweisende PVC-Boden des Seminarraums in ein Theaterparkett und der gesamte Ort in eine Bühne: durch seine Worte und Handlungen lässt er einen inneren Raum im Auge der Betrachter entstehen.

Horbelt hievt ein schweres Kurbelstativ herein. Die körperliche Arbeit macht deutlich: Dave ist kein Intellektueller. Dave erzählt von seiner Frau Lisa, der Zahnarzthelferin, und seinen Kindern und wie er als ehemaliger Türsteher an seinen neuen Job in einer Kunstgalerie geraten ist. Als Türsteher war er zuletzt brutal angegriffen worden und hatte sich gewaltsam verteidigt. Zum Beweis zieht Dave einen jüngeren Mann aus dem Publikum und drückt ihm einen umfunktionierten Selfiestick als Stichwaffe in die Hand. Zuschauer direkt anzusprechen und sogar als Nebendarsteller in den virtuellen Bühnenraum zu holen, bildet ein Konzept der Inszenierung von Johannes Kalwa. In solch intimer Atmosphäre, in der keine Treppe und kein Vorhang Darsteller und Zuseher trennen, ist eine interaktive Inszenierung leicht zu bewerkstelligen. Nicht gewünscht ist allerdings, dass aus Zuschauern Mitspieler erwachsen, betont Horbelt. Ein bisschen Scheu und ungelenkes Agieren auf der Bühne findet er sehr charmant.

Dave bewacht das Bild von Nipple Jesus, einer pixelartige Riesencollage aus weiblichen Brustwarzen, die eine Künstlerin aus Pornozeitschriften ausgeschnitten und zusammengeklebt hat. Ob so ein Kunstwerk tatsächlich heutzutage noch einen Skandal hervorrufen könnte, sei dahingestellt. In der Inszenierung von Johannes Kalwa ist das Bild nicht zu sehen. Die Generalprobe, die beim Losing-my-Religion-Festival in Olching stattfand, führte jedenfalls zu keinem Eklat.

Im Hornby-Stück provoziert das NippleJesus-Bild hingegen religiöse Extremisten zu heftigem Aktivismus. Ein religiöser Spinner betet angesichts der Blasphemie kniend vor dem Bild. Das wirkt zunächst merkwürdig fremd und dann doch irgendwie vertraut. Religiöser Fanatismus ist ja mittlerweile auch in Deutschland ein brisantes Thema. Dave verteidigt die Kunst, denn mittlerweile liebt er den Nipple Jesus: "Knien ist in der Kunstgalerie verboten. Beten auch."

Kunst und Künstlichkeit - auch das ist ein Thema in Nipple Jesus. Nicht nur die Frage, wie moderne Kunst aussieht, ob und wen sie erreicht, sondern auch ob Kunst von Können kommt, wird durch Daves Monolog beleuchtet. Die Sprache, die dafür eingesetzt wird, ist nicht bedeutungslos. Hornbys Original wurde nahezu wortgetreu ins Deutsche übertragen. Das geht nicht immer gut. Im Text erwähnte Personen wie Richard Branson irritieren deutsche Zuschauer, während in England jeder den Virgin-Millionär kennt. In Deutschland sprechen bildungsferne Ex-Türsteher nicht in perfekter Grammatik oder in der indirekte Rede. Dem zum Trotz will Kalwa werkgetreu arbeiten, schon aus Respekt vor dem Autor nah am Original bleiben. Hornby habe Dave absichtlich mit einem seine Bildung übersteigenden Sprachniveau ausgestattet, findet er. Das sieht nicht jeder so. In der Hamburger Inszenierung etwa spricht der tätowierte Lude Dave den Nipple Jesus auf Plattdeutsch. Durch die Zusammensetzung des jeweiligen Publikums erhält das Stück bei jeder Aufführung eine andere Gestalt.

Weitere Aufführungen: Zap (25. Januar), Stadtbibliothek (30. Januar), Puc (4. Februar)

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SZ vom 22.01.2018
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