Süddeutsche Zeitung

Handel:Da mag man nicht lange bleiben

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Ein Universitätsprofessor schlendert durch die Puchheimer Einkaufsstraßen. Sein Fazit ist vernichtend

Von Peter Bierl, Puchheim

Zu viele Büros und Arztpraxen in bester Lage, zu kleine Läden mit wenig Verkaufsfläche, ein schlechter Branchenmix, die Schaufenster entweder schlecht dekoriert oder versteckt hinter Hecken und Autos. Diese Mängelliste, illustriert mit Fotos, präsentierte Joachim Vossen am Donnerstag im Puchheimer Rathaus. Der Leiter des Instituts für Stadt- und Regionalmanagement und Professor für Geografie an der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität, war mehrmals durch das Stadtzentrum spaziert, die Lochhauser Straße rauf und runter gegangen. Sein Fazit ist vernichtend: Die Aufenthaltsqualität sei derart, dass man dort "nicht lange bleiben mag". Als Einkaufsmeile sei das Zentrum nur "bedingt attraktiv". Etwa 40 Zuhörer waren zu der Veranstaltung gekommen, mit der die Stadt unter dem Titel "Einkaufen in der Stadtmitte - Neue Chancen für den Einzelhandel in Puchheim" den Dialog über die Umgestaltung der Ortsmitte fortsetzte. Gekommen waren in erster Linie Geschäftsleute, praktisch keiner widersprach Vossen, der sich bereits in Germering für ein den Einzelhandel einsetzte.

Einige klagten, dass ihre Vorschläge, das Erscheinungsbild zu verbessern, von Nachbarn und Grundbesitzern abgeblockt würden. Viel Zustimmung bekam Vossens Vorschlag, die Lochhauser Straße so umzugestalten, dass eine möglichst lückenlose Schaufensterfront entsteht mit Parkstreifen in der Straßenmitte sowie Ecken und kleinen Plätzen, wo man sich gerne aufhalten mag. Das entspricht genau jener Perlenkette, die der Ulmer Architekt Daniel Meister anno 2004 vorgeschlagen hatte. Sein Entwurf gewann den städtebaulichen Wettbewerb der Kommune und verschwand im Archiv. Lediglich auf der Südseite in der Allinger Straße wurde sein Konzept im Ansatz verwirklicht. Die Umgestaltung der Lochhauser Straße scheiterte am Widerstand von Hausbesitzern und Grundeigentümern, deren Flächen der Architekt einbezogen hatte.

Die Werbegemeinschaft Geschäftswelt Puchheim (WGP) war dagegen und ihr Vorsitzender, der Gewerbereferent Hans Selb (CSU), trug den Protest in den damaligen Gemeinderat. Auf die Frage von Bürgermeister Norbert Seidl (SPD), ob es nicht ein paar positive Aspekte gebe, antwortete Vossen, das Puchheimer Zentrum habe eigentlich ein Riesenpotenzial: Zehntausend Pendler liefen jeden Tag vom Bahnhof an den Ladentüren vorbei. Mit attraktivem Angebot und zeitgemäßer Präsentation könnte man etwa zehn Prozent als Kunden gewinnen. Ein weiteres Pfund seien die vielen öffentlichen Flächen im Zentrum, womit Vossen aber bei einem Manko ankam - ihrer falschen Nutzung: "Die vielen Parkplätze sind eine Sünde."

Da regte sich etwas Widerspruch, weil manche Geschäftsleute darauf nicht verzichten wollen, andere wiederum beschworen eine nahe Zukunft, in der die Menschen mit E-Bikes, ganz kleinen Elektroautos oder gar fliegenden Taxen unterwegs sein würden. Konkret schlug Vossen vor, den Alois-Harbeck-Platz zum Grünen Markt hin zu öffnen, die besten Geschäfte am Bahnhof zu konzentrieren und die Aufenthaltsqualität im Zentrum zu verbessern. Man könnte auf einer der freien Flächen ein Café in einer luftigen und begrünten Glaskonstruktion unterbringen. Was die Umgestaltung südlich der Bahn betrifft, so mahnte der Professor, dass man diesen Teil des Zentrums ohne Einzelhandel nicht beleben könnte. Alles wunderbar, bloß ohne die privaten Eigentümer geht nichts. Souverän sind die Geschäftsleute allerdings in Bezug auf ihr Angebot und daran findet Vossen einiges auszusetzen. In die Wirtschaft am Bahnhof würde er "nicht hingehen". Die Gastronomie müsse sich auf aktuelle Trends einstellen, frische und pfiffige Sachen, mehr Gemüse statt Fleisch. Der Bereich des "Food-to-go" verzeichne Zuwächse in Höhe von 15 Prozent. Viele Pendler würden am Abend gerne frische, fertige Gerichte mitnehmen, Sandwiches, Suppen, Wraps, Smoothies, Sushi. Der Internetauftritt dürfe ruhig minimalistisch sein, aber die Läden selbst müssten als soziale Treffpunkte angelegt sein und Einkaufen zum Erlebnis werden lassen. Vossen ist überzeugt, dass das alte Stammkunden-Konzept auch in der digitalen Welt funktioniert.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2017
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